Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich besorgt über die umstrittene Justizreform des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu geäußert, dem Land aber gleichzeitig anhaltende Solidarität in Sicherheitsfragen zugesichert. Bei dem von Protesten begleiteten Kurzbesuch Netanjahus in Berlin sagte Scholz am Donnerstag, die Bundesregierung wünsche sich, dass Israel eine liberale Demokratie bleibe. »Als demokratische Wertepartner und enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr aufmerksam - und das will ich nicht verhehlen: mit großer Sorge.«
Während des Besuchs Netanjahus demonstrierten mehrere hundert Menschen im Regierungsviertel und am Brandenburger Tor. Die Polizei sprach von 400 bis 500, angemeldet waren 1000. Auch in Israel gingen erneut landesweit Tausende Menschen gegen die Pläne der Regierung auf die Straßen. Die Organisatoren hatten zuvor zu »einem Tag des eskalierenden Widerstands« aufgerufen.
Netanjahus rechts-religiöse Regierung will Teile der umstrittenen Reform bis Ende des Monats im Schnellverfahren durchsetzen. Dem israelischen Parlament soll es unter anderem ermöglicht werden, Entscheidungen des höchsten Gerichts aufzuheben. Zudem sollen Politiker mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern erhalten. Kritiker sehen dadurch die Gewaltenteilung als tragenden Pfeiler der Demokratie in Gefahr. Manche werfen Netanjahu vor, einen Weg in Richtung Diktatur einzuschlagen.
Scholz setzt Hoffnung in Präsident Herzog
Scholz machte bei der Pressekonferenz mit Netanjahu zwar sein Unbehagen über die Reformpläne deutlich, stieß ihn aber auch nicht auf offener Bühne vor den Kopf. Er wünsche sich, dass über den jüngsten Kompromissvorschlag des israelischen Staatspräsidenten Izchak Herzog »das letzte Wort noch nicht gesprochen ist«, sagte der Kanzler diplomatisch.
Herzog hatte am Mittwoch einen Plan veröffentlicht, der nach seinen Worten gleichzeitig das Parlament und die Regierung stärken sowie eine unabhängige Justiz gewährleisten solle. Netanjahu lehnte den Kompromissvorschlag vor seiner Abreise nach Deutschland aber ab.
In Berlin wies er die Behauptung zurück, die Justiz werde geschwächt. »Israel ist eine liberale Demokratie und wir werden eine liberale Demokratie bleiben«, betonte er. Eine unabhängige Justiz sei nicht eine allmächtige Justiz. »Wir werden alles Notwendige tun, um das Ungleichgewicht zu korrigieren.« Dies solle durch die geplante Reform geändert werden. »Wir werden keinen Zentimeter davon abweichen«, sagte Netanjahu. Den Kompromissvorschlag des Präsidenten bezeichnete er als »unausgewogen«.
Rüstungskooperation bleibt unberührt von Reformstreit
Vor ihren politischen Gesprächen besuchten Scholz und Netanjahu die Holocaust-Gedenkstätte am Bahnhof Grunewald, von wo aus 1941 und 1942 etwa 10.000 Juden mit Zügen der Reichsbahn in Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis gebracht wurden. Netanjahu betonte dabei, wie wichtig die Wehrhaftigkeit des Staates Israel sei. »Wir wissen, dass die Forderungen nach der Auslöschung Israels nicht aufgehört haben«, sagte er.
Unberührt von dem Streit über die Justizreform bleibt die Rüstungskooperation zwischen beiden Ländern. Scholz und Netanjahu bekräftigten, dass sie weiter ausgebaut werden soll. Deutschland will derzeit vor allem das israelische Luftabwehrsystem Arrow 3 anschaffen. Scholz sagte, das Projekt bedeute einen »ganz, ganz großen Fortschritt« in der Zusammenarbeit. Umgekehrt würden auch die deutschen Rüstungsexporte nach Israel fortgesetzt. Es sei klar, »dass wir auch weiter Waffen nach Israel liefern werden«.
Scholz bekräftigt: Sicherheit Israels ist Staatsräson
Deutschland hat in der Vergangenheit vor allem U-Boote nach Israel geliefert und die Exporte auch mit Steuergeldern gefördert. Hintergrund ist, dass Deutschland die Sicherheit Israels angesichts der Ermordung von sechs Millionen Juden durch Nazi-Deutschland zur Staatsräson erklärt hat. Scholz bekräftigte, dass dies unverändert gelte.
Das israelische System Arrow 3 soll Teil eines europäischen Luftverteidigungssystems werden. Es bildet derzeit die höchste Stufe von Israels mehrstufiger Raketenabwehr und kann angreifende Waffensysteme bis über 100 Kilometer Höhe außerhalb der Atmosphäre im beginnenden Weltraum zerstören. Wann ein Vertrag unterzeichnet wird und welchen Umfang das Geschäft hat, wollten weder Scholz noch Netanjahu am Donnerstag beantworten. Netanjahu sagte nach dem Gespräch nur: »Wir haben uns für einen Weg entschieden, der uns weiterbringt. Natürlich werden wir so schnell wie möglich voranschreiten.«
Netanjahu dringt auf härtere Gangart gegen Iran
Für Netanjahu war die Forderung nach einem härteren Kurs gegen den Iran das wichtigste Thema in Berlin. »Wir müssen uns ganz stark dem Iran widersetzen und dafür sorgen, dass das Land keine Atomwaffen produzieren kann«, sagte er. Israel werde »alles Nötige« tun, um dies zu verhindern.
Es gebe keine größere Gefahr als das nukleare Programm des Irans, sagte Netanjahu. Die dortige Führung habe dazu aufgerufen, den einzigen jüdischen Staat zu zerstören. »Das jüdische Volk wird keinen zweiten Holocaust zulassen.« Dafür sei die Zusammenarbeit mit Israels Verbündeten wie Deutschland und den USA wichtig. »Wir müssen jetzt vorgehen«, sagte Netanjahu. Sonst werde es Konsequenzen geben. Israels Regierungschef schloss in der Vergangenheit auch mehrfach ein militärisches Vorgehen nicht aus.
Scholz forderte Teheran auf, sein »destruktives Treiben« in der Region zu beenden. Israel und Deutschland eine die Sorge darüber, »dass Iran neue Schritte der Eskalation gegangen ist und eine sehr hohe Anreicherung von Uran betrieben hat«. Eine diplomatische Lösung habe oberste Priorität.
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