Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bemüht sich kurz vor der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg angesichts anhaltender Streitereien in der Ampel-Koalition um mehr Geschlossenheit. Auf die Frage, ob gegenseitige Gesetzesblockaden weitergehen würden, sagte er der Mediengruppe Bayern: »Davor kann ich nur warnen.«
Die Auseinandersetzung über die Kindergrundsicherung will Scholz rasch beilegen. »Die Bundesregierung wird bis nächste Woche klären, wie die Kindergrundsicherung konkret ausgestaltet wird«, ergänzte er. SPD-Chefin Saskia Esken rief die Koalition zu mehr Gelassenheit auf.
Die Regierung habe viele weitreichende Entscheidungen getroffen, die für mehr Tempo und Modernisierung sorgten, sagte Scholz den Zeitungen der Mediengruppe Bayern (»Passauer Neue Presse«, »Mittelbayerische Zeitung«, »Donaukurier«). »Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, die Erfolge der Regierungstätigkeit herauszustellen und die nötigen Diskussionen über unsere Vorhaben intern führen.«
Blick auf die Wirtschaft
Am Dienstag kommen Scholz und seine 16 Minister zu ihrer fünften Kabinettsklausur im Gästehaus der Bundesregierung auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin zusammen. Auch vor der Sommerpause hatten sich die Koalitionäre immer wieder gestritten, besonders heftig etwa über das sogenannte Heizungsgesetz.
Scholz sprach sich gegen den Eindruck aus, Deutschland entwickele sich wegen seines schwachen Wirtschaftswachstums zum »kranken Mann Europas«. Er sagte der Mediengruppe Bayern: »Wir dürfen den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht schlechtreden. Unser Land hat weiterhin gute wirtschaftliche Perspektiven.«
Weil Deutschland beim Export so erfolgreich sei, spüre es ein Schwächeln der Weltkonjunktur besonders stark. »Das gilt aber auch umgekehrt: Springt die Weltkonjunktur wieder an, profitieren wir auch stärker.«
SPD-Chefin Esken: Die Leute wollen keinen Streit
Esken sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Es wäre gut, wenn wir auch die Fragen, bei denen wir höheren Debattenbedarf haben, intern klären könnten.« Zwar müssten die Argumente auch in der Öffentlichkeit ausgetauscht werden, denn die Bevölkerung müsse die Möglichkeit haben, sich eine Meinung zu bilden.
»Aber das muss nicht im Streit geschehen. Das wollen die Leute nicht, und es bringt die Sache auch meistens nicht voran«, betonte Esken. »Es wäre also schön, wenn es nach der Sommerpause etwas gelassener weiterginge.«
Streit um Kindergrundsicherung vor der Einigung?
Am Freitag waren hochrangige Gespräche über die Kindergrundsicherung vertagt worden, wie die dpa aus Regierungskreisen erfuhr. Sie sollen nun bis zum Klausurbeginn am Dienstag abgeschlossen sein. In der ersten Kabinettssitzung nach der Sommerpause war der Streit eskaliert - Paus blockierte das Gesetz für mehr Wirtschaftswachstum von Linder, weil sie die Finanzierung ihres Projekts noch nicht gesichert sah.
Scholz sagte nun über die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung: »Parallel dazu braucht Deutschland ein flächendeckendes Angebot an Krippen und Kitas, möglichst ohne Gebühren. Darin unterstützen wir die Länder in einem Bund-Länder-Programm, damit das vorangeht.«
Buschmann warnt Paus
Justizminister Marco Buschmann (FDP) mahnte ein Einlenken von Paus im Streit um das Wachstumschancengesetz an. »Bei unserer wirtschaftlichen Lage können wir uns keine weitere Verzögerung leisten«, sagte er der »Welt am Sonntag«.
Das Vorhaben von Lindner sieht rund 50 steuerpolitischen Maßnahmen vor, die die deutsche Wirtschaft um jährlich rund 6,5 Milliarden Euro entlasten sollen. Die deutsche Wirtschaft ist nach dem frostigen Konjunkturwinter auch im Frühjahr nicht in Schwung gekommen. Das Bruttoinlandsprodukt stagnierte im zweiten Quartal zum Vorquartal.
Buschmann riet den Koalitionären zur verbalen Enthaltsamkeit: »Ich würde uns als Koalition empfehlen, insgesamt weniger übereinander zu schimpfen, sondern härter an Problemlösungen zu arbeiten«, sagte er. »Das ist besser für die eigenen Nerven und das gesamte Land.«
Kanzler bleibt skeptisch bei Industriestrompreis
Scholz bleibt bei seiner Skepsis zu einer Strompreis-Subventionierung für die Industrie. »Uns eint das Ziel, dass die Strompreise runter müssen. Um den Strompreis dauerhaft zu subventionieren, fehlen uns nicht nur das Geld, sondern auch die rechtlichen Möglichkeiten«, sagte er der Mediengruppe Bayern.
»Deshalb setzen wir vor allem auf einen schnelleren Ausbau von Windkraft und Solarenergie.« Dadurch würde der Strompreis mittelfristig niedriger sein als in Ländern, die auf Atomkraft bauen.
SPD-Chef Lars Klingbeil hatte sich klar für einen Industriestrompreis ausgesprochen. Der geschäftsführende SPD-Fraktionsvorstand beschloss am Donnerstag ein Konzept für einen auf zunächst fünf Jahre befristeten Industriestrompreis von fünf Cent pro Kilowattstunde.
An diesem Montag soll die gesamte Fraktion in Anwesenheit des Kanzlers bei einer Klausur in Wiesbaden darüber entscheiden. In der Ampel-Koalition ist die FDP gegen die Staatshilfe zur Senkung des Strompreises für bestimmte Unternehmen, die Grünen sind dafür.
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