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Schlagabtausch: Scholz verteidigt Paradigmenwechsel

Die Generaldebatte ist traditionell eine Sternstunde im Parlament. Kanzler Scholz nutzt sie für einen Rundumschlag und beschreibt politische Paradigmenwechsel.

Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), spricht in der Generaldebatte im Plenum im Bundestag. Foto: Michael Kappeler
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), spricht in der Generaldebatte im Plenum im Bundestag.
Foto: Michael Kappeler

Rund einen Monat nach Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz seine Entscheidung zur Aufrüstung und neuen politischen Weichenstellungen verteidigt.

In der Generaldebatte zum Haushalt im Bundestag sagte er der Ukraine am Mittwoch weitere Hilfe zu, zog aber zugleich eine scharfe Grenze für ein Engagement der Nato. Die Opposition machte deutlich, dass sie mehr sein will als nur der Mehrheitsbeschaffer für den Paradigmenwechsel der rot-grün-gelben Regierung.

»Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist nicht die Ersatzbank, von der Sie sich beliebiger Weise mal Ersatzspieler aufs Spielfeld holen können, wenn Sie ihre eigenen Mehrheiten nicht haben«, betonte Unionsfraktionschef Friedrich Merz als Auftraktredner der Generaldebatte. Dabei sprach er vor allem vom geplanten, 100 Milliarden Euro schweren Investitionstopf für die Bundeswehr. Die Ampel-Koalition will das Grundgesetz ändern und braucht dafür Stimmen der Opposition. Merz jedoch betonte, man werde keinen Blankoscheck ausstellen, sondern wolle mitsprechen, wie das Geld verwendet werde.

In einem Sechs-Punkte-Katalog stellte er Bedingungen für eine Zustimmung der Union: So müsse die Bundesregierung dauerhaft und nicht nur vorübergehend mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben. CDU und CSU wollten über ein Begleitgremium über die Anschaffungen mitentscheiden. SPD-Chefin Saskia Esken warf Merz danach auf Twitter vor, in seiner Rede kein Wort über die Notlage der Menschen in der Ukraine verloren zu haben.

Scholz: Soll »gemeinsame Sache« werden

Scholz verteidigte seine Pläne, ging aber auch einen Schritt auf Merz zu. Es sei völlig ok, dass der Unionsfraktionschef seine Vorstellungen äußere, man werde darüber diskutieren. »Es soll eine gemeinsame Sache werden, die wir für unser Land tun«, betonte der Kanzler. Er sagte zu, dass alle Investitionen abgesichert im Grundgesetz der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit zugutekämen.

Zugleich versicherte Scholz, wegen des Kriegs und seiner Folgen würden keine Abstriche beim Klimaschutz gemacht. »Die längst überfälligen Investitionen in Verteidigung und Sicherheit gehen nicht zulasten der dringend nötigen Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft oder zu Lasten guter, zukunftsträchtiger Arbeitsplätze, bezahlbarer Energie, fairer Renten und eines leistungsfähigen Gesundheitssystems«, betonte er. Beim Klimaschutz dürfe die Devise nicht »Jetzt mal langsam«, sondern »Jetzt erst recht« heißen.

Krisen Anstoß zu Veränderung

Scholz zeigte sich beeindruckt vom Umgang der Bürger in Deutschland mit dieser neuen Krise. Das zeige, »wieviel Gutes in unserem Land steckt«, sagte er. »Große Krisen sind immer auch ein Anstoß zu Aufbruch und Veränderung«, beschrieb der Kanzler. Er nannte den Paradigmenwechsel mit Waffenlieferungen an die Ukraine, aber auch neue Wege in der Energiepolitik. Der Krieg im Osten Europas wirke wie ein Brennglas: »Weil er uns zu vermeintlich neuen, in Wahrheit aber längst überfälligen Schwerpunktsetzungen bringt.«

Scholz sicherte der Ukraine die Solidarität der Bundesrepublik zu. »Präsident Selenskyj, die Ukraine kann sich auf unsere Hilfe verlassen«, sagte er. Deutschland liefere seit Beginn des Kriegs Waffen und Ausrüstung, gemeinsam mit den Partnern habe man Sanktionen verhängt, die ihresgleichen suchten. Diese zeigten Wirkung und würden auch ständig nachgeschärft.

Einer von der Nato kontrollierten Flugverbotszone oder Nato-Friedenstruppen in der Ukraine erteilte der Kanzler aber eine deutliche Absage. Es müsse dabei bleiben, dass es keine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland geben dürfe. »Die Nato wird nicht Kriegspartei«, betonte Scholz.

Aufruf zum Beenden des Krieges

Erneut rief er den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem sofortigen Ende des Kriegs in der Ukraine auf. »Die Waffen müssen schweigen – und zwar sofort«, sagte Scholz. »Putin muss die Wahrheit hören über den Krieg in der Ukraine«, so der Kanzler. »Und diese Wahrheit lautet: Der Krieg zerstört die Ukraine. Aber mit dem Krieg zerstört Putin auch Russlands Zukunft.«

Die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Dröge, rief dazu auf, über die Gräueltaten des Krieges zu sprechen - so unerträglich die Bilder und Geschichten auch seien. »Die Welt muss die Wahrheit wissen – denn nichts fürchtet Putin mehr«, sagte sie. Zugleich zwinge der Krieg auch in Deutschland zu neuen Entscheidungen, »und dazu gehört für uns auch die Entscheidung zu Investitionen in unsere eigene und in die europäische Sicherheit«.

Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr verteidigte die geplanten Milliarden-Investitionen. »Die Vernachlässigung der Truppe war ein historischer Fehler, und diesen historischen Fehler wird diese Regierungskoalition jetzt korrigieren«, sagte er. Es sei auch richtig, dass die Koalition mit einem Tabu gebrochen habe und Waffen in ein Konfliktgebiet liefere. Die AfD dagegen lehnte die Waffenlieferungen strikt ab.

Kritik von den Linken

Die Linke warf der Regierung vor, soziale Investitionen zu vernachlässigen. Für die Aufrüstung der Bundeswehr seien Milliarden da, gleichzeitig wachse jedes fünfte Kind in Armut auf. Die Koalition belaste die Menschen, indem sie nicht gegen die hohen Preise bei Energie und Lebensmittel vorgehe. »Selten haben die Bürger unter einer neuen Regierung in so kurzer Zeit so viel Kaufkraft verloren.« Finanzminister Christian Lindner (FDP) sei lediglich der »Vermögensverwalter der Superreichen«.

Scholz kündigte pauschal zusätzliche Entlastungen an, konnte aber noch keine konkreten Maßnahmen benennen. Darum ringt die Ampel derzeit, inzwischen sogar auf Ebene der Koalitionsspitzen. Im Gespräch sind mehrere Unterstützungsideen wegen der hohen Preise beim Tanken und Heizen. Am Mittwochabend sollte ein Koalitionsausschuss einen Durchbruch bringen.

© dpa-infocom, dpa:220323-99-635509/5