Es ist Frust rauszuhören, wenn Kanzler Olaf Scholz über die Arbeit seiner Koalition in den vergangenen Monaten spricht. »Mühselig«, dieses Wort bemüht der SPD-Politiker immer wieder. Schon die Regierungsbildung mit drei Parteien, jetzt auch das Regieren, der Haushalt: »mühselig«, sagt der Kanzler in der Sat.1-Sendung »:newstime spezial« mit dem Titel »Wo steht Deutschland?«. Der immer wieder ausbrechende Streit hat SPD, Grüne und FDP weit voneinander entfremdet.
Längst herrscht Ernüchterung. Nicht nur die Wähler sind in Umfragen mehrheitlich unzufrieden mit der Leistung der Bundesregierung, auch in der Koalition glauben 13 Monate vor der nächsten Bundestagswahl viele nicht mehr an eine Fortsetzung. Das Vertrauen ist an Grenzen gestoßen. So offen wie Grünen-Chef Omid Nouripour spricht es allerdings kaum einer aus: Im ARD-Sommerinterview sagte er am Wochenende: »Diese Koalition ist eine Übergangskoalition nach der Ära Merkel.«
Scholz spricht vom »Schlachtfeld«
Die Ampel als Lückenfüller, das ist ein schonungsloses Urteil, das Scholz so nicht stehen lässt. »Jede Regierung ist die Regierung vor der nächsten«, sagt er trocken - und manchmal folge dann eben doch die gleiche. Die Ampel habe viel hinbekommen: Tempo bei der Modernisierung, die Bewältigung der Energiekrise, die Unterstützung der Ukraine, eine bessere Aufstellung der Bundeswehr zur eigenen Verteidigung. »Aber gleichzeitig ist wahr: Alle diese vielen Entscheidungen sind mühselig errungen und man muss immer befürchten, dass irgendwie der Pulverdampf vom Schlachtfeld gewissermaßen verdeckt, was da real passiert ist«, räumt er ein. Das sei »natürlich nicht gut«.
Der Pulverdampf, der sich nach den Ampel-Verhandlungen nicht verzieht, damit dürfte der Kanzler die Kommentare der Ampel-Partner meinen, die statt einen Kompromiss zu loben oft direkt deutlich machen, was hätte besser laufen können. Nouripour spricht von einer befremdlichen Lust mancher am Konflikt.
Kann so eine Koalition weitermachen?
Das Tischtuch scheint zerschnitten zwischen den Ampel-Partnern. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zeigte seinen Frust beim Thema Haushalt: In einem Etat von mehr als 450 Milliarden Euro dürfte es doch nicht so schwer sein, drei Milliarden aufzutreiben. »Aber wir haben sie halt jetzt nicht gefunden. Wie soll ich sagen: Ist halt so.« Die SPD hofft auf eine Reform der Schuldenbremse in einer nächsten Legislatur ohne die FDP. Diese wiederum trifft Beschlüsse, von denen sich die Koalitionspartner SPD und Grüne provoziert fühlen müssen. Jüngstes Beispiel: »Fahrplan Zukunft – Eine Politik für das Auto«, ein Papier, das durch kostenfreies Parken mehr Autos in die Innenstädte bringen will.
Bei einem Bürgerdialog in seinem Ministerium teilte Habeck gegen Lindner aus. Dieser hatte sich zuvor gegen eine Beteiligung seiner Partei an einer möglichen Koalition unter grüner Führung ausgesprochen. »Ja, da sind wir uns ganz einig«, sagte Habeck. »Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister werden.«
So könne eine Koalition eigentlich nicht weitermachen, analysierte Meinungsforscher Manfred Güllner von Forsa für die »Bild«. »Dann sollte man ehrlicherweise diesen Krampf beenden.«
Der Appell: Zusammenreißen
Doch aufzugeben, das scheint für Scholz keine Lösung. Dass das Regieren mühselig sei, das sei unübersehbar, räumt er ein. »Trotzdem muss man sich die Mühe hier machen«, sagt der Kanzler bestimmt. Schließlich komme es auf die Ergebnisse an. Deutschland müsse sich daran gewöhnen, dass Regierungen auf absehbare Zeit von Parteien gebildet werden, die sich eine Zusammenarbeit manchmal vorher nicht vorgenommen hätten. Tatsächlich sorgen die vielfach starken Wahlergebnisse der AfD dafür, dass Parteien vermehrt auch über bisher eingeübte Grenzen zusammenarbeiten müssen. Einfacher werde es bestimmt nicht werden, meint der Kanzler.
Es ist ein unausgesprochener Appell an seine Regierung, sich zusammenzureißen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gibt Scholz recht. »Unsere Aufgabe ist, zusammenzuarbeiten für die Bürgerinnen und Bürger, das Beste rauszuholen als Koalition und jetzt gut zusammenzuarbeiten in den letzten anderthalb Jahren«, sagte sie in Rostock. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) widersprach Nouripours Einschätzung auf X: »Die Analyse ist falsch«, schrieb er. Die Ampel arbeite und löse im Gesundheitsbereich gerade einen riesigen Reformstau auf. Die Botschaft: Es ist noch Ambition da in der Ampel.
In der SPD sieht man Nouripours scharfe Aussagen ohnehin eher als ein sehr frühes Wahlkampf-Manöver. »Ich begreife das als eine Initiativbewerbung der Grünen, in der nächsten Regierungskoalition mit der CDU zusammenzuarbeiten«, sagte Juso-Chef Philipp Türmer im Deutschlandfunk. Die Ampel müsse durchhalten, weil alles andere unverantwortlich sei. Doch eine Fortsetzung der Ampel-Koalition? Hält auch er nicht für realistisch.
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