Nach einer von Manipulationsvorwürfen begleiteten Präsidentenwahl hat Russlands Wahlkommission Kremlchef Wladimir Putin ein Rekordergebnis von vorläufig etwas über 87 Prozent der Stimmen zugesprochen. Nach Auszählung von knapp 50 Prozent der abgegebenen Stimmen liegt Putin bei einem Anteil von 87,34 Prozent, wie russische Medien aus der Zentralen Wahlkommission berichteten. Damit legte der 71 Jahre alte Putin um mehr als zehn Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl von 2018 (76,7 Prozent) zu. Es gilt als das beste ihm je zuerkannte Ergebnis, mit dem er seine fünfte Amtszeit antritt.
Die Wahlbeteiligung wurde mit über 74 Prozent angegeben - ebenfalls ein Rekord. Es ist der höchste Wert bei einer russischen Präsidentenwahl. Kritiker wiesen jedoch darauf hin, dass er nur durch Repressionen, Zwang und Betrug erreicht wurde.
In einer ersten Stellungnahme am Sonntagabend wertete Putin das Ergebnis als Vertrauensbeweis der Bürger und deren Hoffnung, dass die Regierung alles wie geplant erledige. Zugleich betonte er, er wolle alles in seiner Macht Stehende tun, um die an die Führung gestellten Aufgaben zu erfüllen, wie die Staatsagentur Tass weiter berichtete.
Beobachter haben die von Protesten begleitete Abstimmung als undemokratisch eingestuft, weil keine echten Oppositionskandidaten zugelassen waren. Zudem gibt es in Russland keine Versammlungsfreiheit, die vom Kreml gesteuerten Medien sind gleichgeschaltet. Unabhängige Medien werden politisch verfolgt. Andersdenkende, die Putins Krieg gegen die Ukraine oder den Machtapparat kritisieren, riskieren Strafen bis hin zu Lagerhaft.
Putin dürfte ein solches Ergebnis als Bestätigung seines antiwestlichen und autoritären Kurses präsentieren. Beobachter erwarten, dass er damit für die nächsten sechs Amtsjahre nicht nur außenpolitisch in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine noch einmal deutlich nachlegt. Viele Russen befürchten eine neue Mobilmachung Hunderttausender Reservisten.
Auch innenpolitisch könnten die Daumenschrauben im Land noch einmal deutlich stärker angezogen werden, um den an den drei Wahltagen sichtbaren Protest von Putins Gegnern zu ersticken. Angekündigt sind zudem Steuererhöhungen, mit denen die hohen Ausgaben für den Krieg und die sozialpolitischen Vorhaben finanziert werden sollen.
Wahlkommission meldet Rekordbeteiligung mitten im Krieg
Die Wahlbeteiligung von mehr als 74 Prozent, dem höchsten Wert jemals bei einer russischen Präsidentenwahl, soll dem Ergebnis zusätzlich Legitimität verschaffen. Die Zahl der Wahlberechtigten wurde mit 114 Millionen Menschen angegeben.
Die auf drei Tage angesetzte Abstimmung wurde auch von Putins Krieg gegen die Ukraine überschattet, den er immer wieder als Kampf gegen ein angebliches Vormachtstreben der Nato und des Westens darstellt. Das verfing bei vielen Russen.
Der nun für weitere sechs Jahre gewählte Kremlchef dürfte das Ergebnis auch als klaren Ansporn nutzen, um der Ukraine noch mehr Gebiete zu entreißen. Putin hat angekündigt, die bisher teils besetzten ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja komplett einzunehmen. Auch Odessa im Süden droht ein russischer Besatzungsversuch.
Ukraine spricht Putins Wahl Legitimität ab
In den okkupierten Teilen und auf der von Russland bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim stimmten Menschen ebenfalls bei der von Putin-Gegnern als Farce kritisierten Wahl ab. Die Ukraine und andere Länder weisen die unter Bruch des Völkerrechts organisierte Abstimmung als illegal und bedeutungslos zurück. Das Außenministerium in Kiew forderte die internationale Gemeinschaft auf, die Ergebnisse nicht anzuerkennen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach Putin »jede Legitimität« ab. »Diese Wahlfälschung hat keine Legitimität und kann keine haben«, sagte Selenskyj in seiner in Kiew verbreiteten abendlichen Videoansprache. »Diese Figur (Putin) muss auf der Anklagebank in Den Haag landen - dafür müssen wir sorgen, jeder auf der Welt, der das Leben und den Anstand schätzt.« Wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen in der Ukraine gibt es einen Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag gegen Putin.
Berichte über systematischen Betrug
Unabhängige Beobachter wiesen auf systematischen Betrug hin, der hinter diesem hohen Wert für Putin stecke. So wurden seit dem ersten Wahltag am Freitag massenhaft Fälle dokumentiert, in denen etwa Angestellte staatlicher Firmen zur Stimmabgabe gedrängt wurden und teils sogar Beweisfotos von ihrem ausgefüllten Wahlschein machen mussten. Kritiker beklagten zudem, dass insbesondere das Online-Verfahren leicht manipulierbar sei. Beobachter dokumentierten auch das massenhafte Stopfen von vorab ausgefüllten Stimmzetteln in die Urnen.
Anziehen der Daumenschrauben im Land erwartet
Neben einem noch brutaleren Vorgehen beim Überfall auf die Ukraine erwarten Experten nach der umstrittenen Wahl vor allem eine Zunahme der Repressionen in Russland. Schon jetzt gibt es keine Versammlungsfreiheit oder freie Berichterstattung von Medien, Andersdenkenden droht Haft, wenn sie den Krieg oder den Machtapparat kritisieren. Vor allem aber ist die Opposition ausgeschaltet, weil führende Köpfe im Straflager sitzen oder ins Exil ins Ausland geflohen sind. Die Hoffnung auf politischen Wandel in Russland hatte sich zuletzt auch nach dem Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny zerschlagen.
Diese fehlenden Freiheiten in Russland und die Gleichschaltung der vom Kreml gesteuerten Medien gelten als wichtigste Grundlage dafür, dass Putin seine Macht verteidigt. Allerdings erwartet die Politologin Tatjana Stanowaja zunehmende Probleme für den Kreml, die Zügel der Macht fest in der Hand zu behalten. Putins Positionen seien unausgewogen, die Ziele des Krieges unklar; und es gebe spürbare Eingriffe in das Privatleben, schrieb Stanowaja in einer Analyse für die Denkfabrik Carnegie. »All dies wird unweigerlich Druck auf das Regime von innen erzeugen«, meinte sie. »Das bedeutet nicht, dass das Regime zusammenbricht oder dass es zu Massenprotesten kommen wird.« Doch werde der Einfluss der Eliten wachsen und die Bedeutung Putins abnehmen.
Protest gegen Putins neue Amtszeit
Die von Russlands Machtapparat mit harter Hand organisierte Abstimmung begleiteten Tausende Gegner des Langzeitpräsidenten mit einer bemerkenswerten Protestwelle. Trotz Einschüchterungsversuchen durch Behörden versammelten sich am letzten Wahltag am Sonntag in vielen Städten des Landes mit den elf Zeitzonen Menschen gegen 12.00 Uhr Ortszeit vor ihren jeweiligen Wahllokalen zur Aktion »Mittag gegen Putin«, zu der die Opposition um den vor einem Monat im Straflager gestorbenen Nawalny aufgerufen hatte.
Menschen brachten auch am Sonntag Blumen an das Moskauer Grab Nawalnys, der selbst einmal Präsident werden wollte. In Berlin sorgte Nawalnys Witwe für Aufsehen: Julia Nawalnaja beteiligte sich dort an einem Protest.
Diese stille Form des Widerstands sollte Kreml- und Kriegsgegnern in Russland selbst auf ungefährliche Weise die Möglichkeit geben, ihren Unmut über diese von Kritikern als undemokratisch eingestufte Wahl kundzutun. Bürgerrechtler berichteten dennoch über Dutzende Festnahmen.
Vor einem Wahllokal im Zentrum Moskaus am Ukrainski Boulevard war die Anspannung bei der Aktion förmlich greifbar. Die Menschen kamen, obwohl in Russland schon für kleinste Protestaktionen harte Strafen drohen. Moskaus Staatsanwaltschaft hatte ausdrücklich vor einer Teilnahme an dieser Aktion gewarnt und mit Strafen wegen »Extremismus« gedroht. Eine 64-Jährige sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Wir wollen unseren Protest zum Ausdruck bringen - gegen den Krieg, gegen das Regime, gegen all das.«
Störung von Putins Wahl durch Angriffe auf russische Gebiete
Auch der von der Abstimmung aus ausgeschlossene Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin beteiligte sich an dem Protest. Oppositionelle waren bei dem Urnengang gar nicht als Kandidaten zugelassen. Putins drei Mitbewerber galten als reine Staffage, die ihn entweder direkt unterstützten oder zumindest auf Kremllinie sind.
Auch in vielen anderen russischen Städten nahmen zahlreiche Menschen an den Aktionen teil. Der bekannte Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow sprach aus dem Exil heraus von einer »Explosion« des Widerstands gegen Putins Weiterregieren, das der Kreml wohl schon an diesem Montag pompös auf dem Roten Platz feiern wird.
Unterdessen wurde auch an diesem letzten Abstimmungstag noch einmal deutlich, dass in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht alles so nach Plan läuft, wie der Kreml gerne behauptet. Im Süden Russlands löste eine Drohnenattacke ein Feuer in einer Ölraffinerie aus. Die westrussische Grenzregion Belgorod wurde wie schon in den Vortagen mit Raketen beschossen. Offiziellen Angaben zufolge starb dabei eine 16-jährige Teenagerin.
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