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Rishi Sunak wird neuer britischer Premierminister

Er wird der jüngste Premier seit mehr als 200 Jahren und der erste Hindu im Amt: Auf Rishi Sunak ruhen die Hoffnungen seiner Konservativen Partei. Die Umfragewerte der Tories sind desaströs.

Rishi Sunak
Rishi Sunak zieht in die Downing Street ein. Foto: Victoria Jones
Rishi Sunak zieht in die Downing Street ein.
Foto: Victoria Jones

Nach einem beispiellosen Aufstieg wird der frühere Finanzminister Rishi Sunak neuer britischer Premierminister und soll den Absturz seiner Konservativen Partei aufhalten. Der 42-Jährige konnte in der Fraktion deutlich mehr Unterstützer sammeln als seine einzige Konkurrentin Penny Mordaunt, die daraufhin am Montag ihren Rückzug bekanntgab.

Am hinduistischen Feiertag Diwali kürte die Partei erstmals einen bekennenden Hindu zum Regierungschef. Sunak werde voraussichtlich am späten Dienstagvormittag von König Charles III. im Buckingham-Palast empfangen und dort formell mit der Regierungsbildung beauftragt, teilte Downing Street mit.

Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als designierter Premier kündigte Sunak an, er wolle sowohl das Land als auch die zuletzt zerstrittene Tory-Partei einen. Zuvor hatte er bereits hinter verschlossenen Türen zu seiner Fraktion gesprochen, die ihn mit demonstrativ lautem Beifall empfing. Dabei habe Sunak gewarnt, die Partei stehe vor einer »existenziellen Bedrohung« und habe die Wahl, sich »zu vereinen oder zu sterben«, berichteten Anwesende.

Im Sommer war Sunak noch seiner Konkurrentin Liz Truss im Rennen um die Nachfolge von Premier Boris Johnson unterlegen. Doch Truss musste nach wenigen Wochen ihr Amt wieder abgeben - vor allem, weil sie mit ihrer Wirtschaftspolitik jene Finanzturbulenzen ausgelöst hatte, vor denen Sunak im Wahlkampf gewarnt hatte. Nun wird Sunak der jüngste Premierminister seit mehr als 200 Jahren. Bereits sieben Jahren nach seinem Einzug ins Parlament 2015 wird er Premier - so schnell wie kein anderer Politiker der jüngeren britischen Geschichte.

Welchen Weg schlägt der neue Premier ein?

Der Jubel über Sunaks bevorstehenden Einzug in die Downing Street dürfte allerdings nicht lange andauern. Trotz des deutlichen Votums in der Tory-Fraktion - weit mehr als die Hälfte der Abgeordneten sprachen sich für Sunak aus - sind Fraktion und Partei gespalten. Der rechte Flügel fordert weiterhin eine radikalere Steuersenkungspolitik und eine harte Linie gegen die EU im Streit um Brexit-Sonderregeln für Nordirland. Wirtschaftsvertreter erhoffen sich eine ruhige Hand. »Die politische und wirtschaftliche Unsicherheit der vergangenen Monate hat dem britischen Geschäftsklima enorm geschadet und muss nun beendet werden«, hieß es vom Handelskammerverbund.

Sunak ist bereits der dritte Premier innerhalb von vier Monaten. Angesichts der fehlenden Abstimmung bezweifelt die Opposition sein demokratisches Mandat und fordert Neuwahlen. Der Chef der Liberaldemokraten, Ed Davey, sagte, mit Sunak hätten die Tories erneut einen »abgehobenen Premierminister installiert, ohne Plan, den Schaden zu beheben und ohne dem britischen Volk ein Mitspracherecht zu geben«. Labour-Vizechefin Angela Rayner kritisierte: »Die Tories haben Rishi Sunak zum Premierminister gekrönt, ohne dass er ein einziges Wort darüber gesagt hat, wie er das Land regieren würde, und ohne dass irgendjemand die Möglichkeit hatte abzustimmen.« Der Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei (SNP), Ian Blackford, rief Labour-Chef und Oppositionsführer Keir Starmer auf, ein Misstrauensvotum gegen Sunak im Unterhaus zu beantragen.

Weil die Tories in Umfragen weit abgeschlagen hinter der größten Oppositionspartei Labour liegen, fürchten sie eine vorgezogene Abstimmung. Wie Anwesende berichteten, schloss Sunak vor der Fraktion eine Neuwahl aus. Der ehemalige konservative Spitzenpolitiker Robert Hayward sagte dem Sender Sky News, die Partei würde im Falle einer Parlamentswahl »völlig zerstört«. »Es gibt keinen sicheren Sitz mehr für die Konservative Partei«, so Hayward.

Sunak hat nicht die volle Unterstützung seiner Partei

Verschiedene Parteiströmungen riefen die Tories dazu auf, sich hinter dem neuen Premier zu vereinen. »Die Zeit der internen Debatten ist endgültig vorbei, und ich weiß, dass wir unter Führung von Rishi Sunak die Prioritäten des britischen Volkes erfüllen können und werden«, sagte Generalsekretär Jake Berry.

Allerdings gilt Sunak vor allem an der Parteibasis als umstritten. Viele Mitglieder werfen ihm vor, mit seinem Rücktritt als Finanzminister Anfang Juli das Aus des skandalumwitterten, aber an der Basis noch immer sehr beliebten Ex-Premier Johnson ausgelöst zu haben. Auch sein Wohlstand sorgt für Zweifel, ob Sunak wirklich die Alltagsprobleme kennt. Der einstige Investmentbanker gilt als reichster Abgeordneter. Das liegt auch an seiner Ehefrau, die einen Hunderte Millionen Pfund schweren Anteil am indischen IT-Giganten Infosys hält. Ihr Vater gehörte zu den Gründern des Unternehmens.

Als Sohn indischer Einwanderer ist der in Southampton geborene Sunak der erste Premierminister, der einer ethnischen Minderheit in Großbritannien angehört. Vertreter der großen indischstämmigen Gemeinschaft in Großbritannien sprachen angesichts der Wahl Sunaks von einem historischen Moment. Dies zeige, »dass das höchste Amt in Großbritannien Menschen aller Glaubensrichtungen und ethnischen Hintergründen offen stehen kann«, sagte Sunder Katwala von der Denkfabrik British Future. »Das wird viele britische Asiaten stolz machen – einschließlich vieler, die Rishi Sunaks konservative Politik nicht teilen.«

© dpa-infocom, dpa:221024-99-244412/8