Vor seinem Treffen mit seinem Freund Xi Jinping zeigt sich Kremlchef Wladimir Putin demonstrativ gelassen am Steuer eines Autos in den besetzten Gebieten der Ukraine. Erstmals seit Kriegsbeginn besuchte Putin am Samstag nicht nur die Schwarzmeer-Halbinsel Krim zum 9. Jahrestag der Annexion.
Noch vor der Ankunft von Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping zum dreitägigen Staatsbesuch an diesem Montag fuhr Putin auch durch die zerstörte und von russischen Truppen besetzte ukrainische Hafenstadt Mariupol. Der 70-Jährige ließ sich über den Wiederaufbau informieren.
So aufgeladen mit Eindrücken seiner ersten Reise in das Kriegsgebiet trifft Putin bei Festbanketts und Verhandlungen auf Xi Jinping, der seine erste Auslandsreise seit Beginn seiner dritten Amtszeit dem Nachbarn Russland abstattet. Für Putin, der am Freitag per Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine vom Internationalen Strafgericht in Den Haag zur Fahndung ausgeschrieben wurde, kommt der Zeitpunkt der seit langem geplanten Visite gelegen. Durch den Besuch des mächtigen Freundes, der wie Russland die USA als Drahtzieher des Konflikts in der Ukraine sieht, will Putin einmal mehr zeigen, dass er international nicht isoliert ist.
China will Frieden stiften in der Ukraine
China erkennt wie Russland die Gerichtsbarkeit in Den Haag nicht an. Das Thema Haftbefehl dürften Putin und Xi daher übergehen, nicht aber den Krieg in der Ukraine. Zwar hatte sich China zuletzt für Verhandlungen und Waffenstillstand ausgesprochen. Russland begrüßt auch friedensstiftende Initiativen. Klar ist aber auch, dass Moskau sich von seinen Kriegszielen nicht verabschiedet hat und einen militärischen Sieg erringen will. An diesem Montag ist laut Kreml ein Artikel Putins zur Ukraine in chinesischen Zeitungen geplant - als »wichtiges Signal« vor den Verhandlungen. Xi Jinping wiederum habe einen Artikel für russische Medien vorbereitet, hieß es.
Offen bleibt jedoch, ob und wie Xi Jinping seinen Einfluss auf Putin zur Friedensvermittlung nutzen wird. Der 69-Jährige hatte auch vor atomaren Drohungen gewarnt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hatte zudem Chinas führender Außenpolitiker Wang Yi einen 12-Punkte-Plan zur »politischen Lösung der Ukraine-Krise« vorgestellt, der in Europa jedoch vor allem auf Enttäuschung stieß.
Thema auch militärische Zusammenarbeit
Der Staatsbesuch sei das »wichtigste Ereignis« in der russisch-chinesischen Partnerschaft, sagte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow. Die Verhandlungen sollten den Beziehungen beider Länder einen »mächtigen Impuls« geben - nicht nur für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Unterzeichnung von Dokumenten zum Ausbau einer »allumfassenden Partnerschaft« und der »strategischen Zusammenarbeit« sei geplant.
Das rohstoffhungrige China setzt auf Öl und Gas der Energiegroßmacht. Russland wiederum hofft unter dem wirtschaftlichen Druck der westlichen Sanktionen auf Hilfe Chinas vor allem auch bei der Lieferung von Mikrochips und anderen technologischen Bauteilen und technischen Ausrüstungen.
Nach Berichten über Munitions- und Waffenmangel für den Krieg dürfte Russland auch hier auf China rechnen. »Die Problematik der militär-technischen Zusammenarbeit wird zweifellos erörtert werden«, sagte Uschakow am Freitag, als der Staatsbesuch bekanntgegeben wurde. Zu den Gesprächen sei unter anderem auch Verteidigungsminister Sergej Schoigu eingeladen.
An diesem Montag treffen Xi und Putin laut Kreml zunächst allein zu Gesprächen zusammen, essen zu Abend. Dort gehe es um die heikelsten Fragen und das gemeinsame Auftreten auf der internationalen Bühne, sagte Uschakow. Putin setzt mit seiner Kampfansage gegen die »Diktatur des Liberalismus« im Westen - angeführt von den USA - und im Ringen um eine neue Weltordnung besonders auf China. Am Dienstag seien Verhandlungen im erweitertem und dann im ganz großen Format mit den Regierungen geplant, sagte Uschakow.
Balanceakt für Chinas Staatschef Xi Jinping
Für Xi Jinping gilt der Besuch als ein Balanceakt. Der Haftbefehl des Weltstrafgerichts gegen Putin ist aus Sicht vieler Kommentatoren nicht zuletzt ein Signal an China, sich nicht mit einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher einzulassen. Dagegen haben Chinas Staatsmedien ihr Urteil längst gefällt: Xi Jinpings Moskau-Besuch wird eine »Reise des Friedens, der Freundschaft und der Zusammenarbeit«.
Die beiden Staatsoberhäupter verbindet eine enge Freundschaft, die auch immer wieder öffentlichkeitswirksam zelebriert wurde: Xi und Putin haben gemeinsam Geburtstage verbracht, mit Wodka angestoßen und Pfannkuchen mit Kaviar und russischer Milcheiscreme gegessen. Nun treffen sie zum 40. Mal persönlich aufeinander, seit Xi Jinping vor über zehn Jahren sein Amt antrat.
Öffentliche Kritik an Wladimir Putin lässt sich im chinesischen Diskurs hingegen kaum vernehmen. Die unter staatlicher Kontrolle stehenden Medien haben bislang auch noch nicht über den Haftbefehl gegen den Kremlchef berichtet. Tatsächlich genießt Putin innerhalb der chinesischen Bevölkerung eine große Popularität.
Doch für Xi Jinping wird die Reise nach Moskau vor allem ein diplomatischer Drahtseilakt: Denn einerseits versucht die Staatsführung, China in Europa als neutrale Friedensnation zu präsentieren, die zwar gegen Sanktionen ist, aber sich trotzdem nach außen daran hält. Andererseits hat China den Krieg nie verurteilt. »Die chinesisch-russische Zusammenarbeit ist völlig korrekt und soll frei von Einmischungen oder Zwang durch Dritte sein«, schrieb Außenamtssprecherin Hua Chunying bei Twitter.
Zugleich hat das Nachrichtenportal »Politico« am Donnerstag einen Bericht unter Berufung auf Zolldaten veröffentlicht: Demnach sollen chinesische Firmen im Jahr 2022 mehrfach Waffen nach Russland geliefert haben, darunter Tausend Sturmgewehre, die als »zivile« Jagdgewehre deklariert worden seien. Zudem sollen chinesische Ersatzteile für Kampfdrohnen und mehr als zwölf Tonnen Schutzausrüstung - teils über die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate - nach Russland gelangt sein.
Eine offene Zusage Chinas für die Lieferung von Waffen und Munition an Russland wäre aus Sicht vieler Beobachter ein Triumph für Putin bei den Verhandlungen. Für Peking könnte der Preis sehr hoch sein, dann selbst unter Sanktionen des Westens zu fallen.
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