Die am ganzen Körper tätowierten Häftlinge rennen zwischen Reihen vermummter Polizisten in das neue Hochsicherheitsgefängnis von El Salvador - nur in weißen Shorts gekleidet, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Pumpende Musik, schnelle Schnitte. Die Regierung des rechtspopulistischen Präsidenten Nayib Bukele inszeniert die Verlegung der Bandenmitglieder als Actionfilm.
Die professionell gedrehten Videos werden in den sozialen Netzwerken millionenfach geklickt. Gelernt ist gelernt: Bevor er Politiker wurde, leitete der nun 41-jährige Bukele die familieneigene Werbefirma.
Seit einem Jahr herrscht in dem mittelamerikanischen Land der Ausnahmezustand: Nach einer Mordwelle mit 62 Toten binnen eines Tages wurden am 27. März 2022 eine Reihe von Grundrechten eingeschränkt. Mehr als 65.000 mutmaßliche Bandenmitglieder wurden seitdem festgenommen. Aktivisten sprechen von massiven Menschenrechtsverletzungen.
Nicht immer soll Bukele allerdings so hart durchgegriffen haben: Am Anfang seiner Regierungszeit 2019 habe er mit den Banden geheime Absprachen getroffen, hieß es in einer kürzlich veröffentlichten US-Anklageschrift gegen Bandenmitglieder.
Jetzt lässt sich Bukele als der »coolste Diktator der Welt« feiern, so nannte er sich einst auf seinem Twitter-Kanal. »Sie werden das Licht der Sonne nicht mehr sehen«, sagte er über die inhaftierten Bandenmitglieder. Er drohte auch damit, den Inhaftierten das Essen zu streichen, wenn die Gewalt auf die Straßen zurückkehren sollte. Grabsteine toter Bandenmitglieder mit Gang-Symbolen ließ Bukele abreißen und stellte Videos von der Aktion ins Netz.
In dem mittelamerikanischen Land mit sechs Millionen Einwohnern kommt die Strategie gut an. Bukeles Wiederwahl im Februar 2024 ist sehr wahrscheinlich, nachdem regierungstreue Verfassungsrichter das Verbot einer zweiten Amtszeit aufhoben. Bei einer Umfrage der Zeitung »La Prensa Gráfica« unterstützen jüngst 91 Prozent der Befragten den Präsidenten.
Zuspruch für die Politik der harten Hand
Auch der Eierproduzent José S. aus San Pedro Perulapán im Zentrum von El Salvador ist mit Bukeles Politik der harten Hand einverstanden. Früher musste der 43-Jährige der Jugendbande »Barrio 18« Tausend US-Dollar (rund 925 Euro) im Monat zahlen, um seine Eier an die Kunden verkaufen zu dürfen, wie er der Deutschen Presse-Agentur erzählt. Zuletzt habe er eine zusätzliche »Miete« zahlen müssen, um in seiner Nachbarschaft leben zu können. Sein Schwager sei von Gangstern getötet worden.
»Seit die Bandenmitglieder festgenommen wurden, müssen wir nicht mehr zahlen. Ich habe Orte besucht, an die ich mich früher nicht getraut habe«, sagt José. Sein kleiner Sohn könne jetzt auf einem Fußballplatz spielen, den früher nur die Gangster betreten durften. Nun patrouillierten Soldaten ständig in dem Viertel.
Kritik an schweren Menschenrechtsverletzungen
Doch nach Angaben der Organisationen Human Rights Watch (HRW) und Amnesty International (AI) kommt es während des Ausnahmezustands zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Sie dokumentierten willkürliche Festnahmen, auch von Kindern, eingeschränkten Zugang zu Rechtsbeistand, Todesfälle in Polizeigewahrsam, Folter und überfüllte Gefängnisse. Außerdem säge Bukele seit seinem Amtsantritt an der Gewaltenteilung.
»Präsident Bukele hat absichtlich ein falsches Dilemma vorgetäuscht: die Lösung der Sicherheitsfrage auf Kosten der Menschenrechte«, sagt die Direktorin für Amerika bei Amnesty International, Erika Guevara Rosas. Diese populistische Law-and-Order-Politik, die auch in anderen Ländern Lateinamerikas gut ankommt, nutze er zu seinem Vorteil, um den Schutz der Menschenrechte zu untergraben und den Rechtsstaat zu demontieren.
Historischer Tiefstand bei Tötungsdelikten
El Salvador war einst das gefährlichste Land weltweit. Auf dem Höhepunkt der Gewalt lag die Mordrate 2015 bei 105,2 Tötungsdelikten pro 100.000 Einwohner. Mit dem Ausnahmezustand fiel dieser Wert nach Regierungsangaben im vergangenen Jahr auf 7,8 - im Vergleich zu rund 52 vor Bukeles Amtseintritt. Insgesamt gab es im Land laut Regierung vergangenes Jahr 495 Tötungsdelikte, ein historischer Tiefstand. Im Jahr zuvor waren es noch mehr als doppelt so viele.
Die berüchtigtsten Verbrechersyndikate im Land sind die »Mara Salvatrucha« (MS-13) und zwei Fraktionen von »Barrio 18«. Ihr Ursprung liegt in den USA der 1980er Jahre. Damals schlossen sich mittelamerikanische Einwanderer in Los Angeles zu Gangs zusammen. Nach dem Ende des Bürgerkriegs in El Salvador 1992 schoben die US-Behörden zahlreiche Bandenmitglieder in ihre Heimat ab.
Dort errichteten die Gangs ein wahres Terrorregime: Die »Maras« vertrieben Menschen aus ihren Häusern und Wohnvierteln. Kinder und Jugendliche wurden gezwungen, sich den Banden anzuschließen. Brutale Initiationsriten verlangten Vergewaltigungen und Morde als Mutbeweis. Die Salvadorianer erinnern sich noch gut an ein Massaker von 2010 im Bezirk Mejicanos nahe der Hauptstadt. Aus Rache gegen eine rivalisierende Bande wurde ein Stadtbus mit Dutzenden Passagieren an Bord von Bewaffneten in Brand gesetzt. Wer versuchte, durch die Fenster der Flammen zu entkommen, wurde erschossen. 17 Menschen kamen ums Leben, auch Kinder. Die Jugendbanden wurden 2015 vom Obersten Gerichtshof des Landes als terroristische Organisationen eingestuft.
Die jüngere Geschichte El Salvadors und anderer Länder in der Region habe gezeigt, dass die Politik der harten Hand die Mordraten nur vorübergehend senke, sagt Amnesty-Regionaldirektorin Guevara Rosas. »Es gibt keine einfachen Antworten auf ernsthafte systemische Probleme«.
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