Schenkt man den Worten von CSU-Chef Markus Söder Glauben, ist seine Forderung nach einem bayerischen Alleingang in Sachen Kernkraft nur eine Reaktion auf bundespolitisches Versagen. Mit der Abschaltung der Atomenergie gehe die Zukunft Deutschlands verloren und »das Wohlstandseis« des Landes werde jeden Tag etwas dünner, sagt er am Montag in der Münchner CSU-Zentrale. Mehr noch: Die Umsetzung des Atomausstiegs sei ein schwerer Fehler und ein »sturer Beschluss gegen die Mehrheit der Bevölkerung«.
Kritiker werfen Söder ein populistisches Wahlkampfmanöver vor, denn im Oktober wird in Bayern gewählt. Doch was steckt hinter dem Plan, den 35 Jahre alten Atommeiler Isar 2 in bayerischer Eigenregie weiterlaufen zu lassen? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick:
Wie stellt sich Söder den Landesbetrieb konkret vor?
Bereits vor dem Atomausstieg sei der Betrieb der Meiler - nicht nur in Bayern - eine reine Länderangelegenheit gewesen. »Die Bundesländer sorgen allein für die Sicherheit«, betonte Söder. »Insofern wäre das alles kein Problem.«
Braucht es für den Landesbetrieb eine Verfassungsänderung?
Das Grundgesetz regelt die alleinige Zuständigkeit des Bundes für die Nutzung der Atomkraft. Für eine Länderzuständigkeit zur Weiterführung müsste also das Grundgesetz geändert werden. Dies ist aber nur mit einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages und des Bundesrates möglich. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) lehnte bereits eine Verlagerung der Kompetenzen ab. Den Antrag auf die Änderung könnte Bayern aber auch direkt in die Länderkammer einbringen oder die CSU beziehungsweise andere Parteien in den Bundestag.
Was ist mit dem Atomgesetz und weiteren Rechtsgrundlagen?
Auch das Atomgesetz müsste in jedem Fall novelliert werden. Die aktuelle Fassung verbietet seit dem 16. April 2023 einen Betrieb von Kernkraftwerken. Mit dem erfolgten Atomausstieg ist die bisherige Berechtigung zum Leistungsbetrieb der Meiler unwiederbringlich erloschen. Für einen Weiterbetrieb setzt das EU-Recht auch eine gründliche Prüfung, die üblicherweise mehrere Jahre dauert, voraus. Faktisch bräuchte Isar 2 also eine neue Genehmigung, die ihrerseits den aktuellen Stand von Forschung und Technik voraussetzt.
Warum will Söder weiter die Kernenergie in Bayern nutzen?
Der bayerische Ministerpräsident ist der Meinung, dass ein Verzicht auf die Kernkraft nicht mit dem wachsenden Energiehunger in Deutschland aber auch in seinem Bundesland vereinbar ist. Nach seinen Worten muss jedes Fitzelchen Energie genutzt werden, auch um die Netzstabilität zu gewährleisten.
Für wie lange will Söder weiter auf die Kernkraft setzen?
In der Pressekonferenz sprach er von weiteren drei bis fünf Jahren, vor einigen Tagen nannte er den Zeitkorridor bis zum Ende des laufenden Jahrzehnts. Faktisch betont er dabei immer wieder, dass es solange notwendig sei, bis die Energiewende abgeschlossen und eine grundlastfähige Versorgung mit den Erneuerbaren sichergestellt ist.
Was bedeutet die Forderung für die Suche nach einem Endlager?
Aus Söders Sicht keine. Bereits jetzt lagert der angefallene Atommüll an den jeweiligen Kraftwerken, aber nur in oberirdischen Zwischenlagern - die Menge, die ein Weiterbetrieb zusätzlich mit sich brächte, sei »keine echte Herausforderung«. Bayern werde sich zudem weiter an der bundesweiten Suche beteiligen - er sehe aber nicht, dass Bayern nun »den Müll der anderen quasi übernehmen würde«.
Wie steht Söder grundsätzlich zum Thema Atommüll-Endlagerung?
Söder macht keinen Hehl daraus, das bisherige Endlagerkonzept, die Suche nach einer unterirdischen Lagerstätte für die nächsten eine Million Jahre, skeptisch zu sehen. »Es ist aus meiner Sicht ein typische Eindruck einer eher dystopischen, forschungsfeindlichen Sicht, nicht zu erkennen, dass es heute in der Welt, auch in Deutschland zum Teil Forschungsfortschritte gibt, mit Reaktoren, die das Thema Müll umwandeln in quasi neue Energie.« Dies sei am Ende auch »der viel klügere Weg«, »als irgendwelche Läger und Lager zu planen für eine Million Jahre«.
Ist Söders Plan aus Sicht des Betreibers überhaupt möglich?
Der Werksleiter von Isar 2, Carsten Müller, betonte wiederholt, dass Preußen Elektra als Betreiber prinzipiell gesprächsbereit sei, wenn die Politik es wolle. Für einen Weiterbetrieb sei aber nicht nur Brennstoff notwendig, der laut Müller »noch da« wäre. Es gehöre aber mehr dazu, eine Anlage zu betreiben. Ab wann der Weiterbetrieb wegen des Rückbaus nicht mehr möglich sei, könne laut Müller nicht gesagt werden: »Es gibt viele Schritte, die jetzt durchgeführt werden und wir werden genau zu dem Zeitpunkt prüfen, wenn die Frage an uns gestellt wird, ob ein Wiederbetrieb möglich ist und welche Notwendigkeiten umgesetzt werden müssen, damit ein Wiederanfahren technisch und funktionell funktioniert.«
© dpa-infocom, dpa:230417-99-346985/3