Gegen den Bürgermeister von Istanbul und möglichen Erdogan-Herausforderer Ekrem Imamoglu ist ein Politikverbot verhängt worden. Ein Istanbuler Gericht verurteilte Imamoglu wegen Beleidigung auch zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.
Gegen das Urteil könne noch Einspruch eingelegt werden, sagte der Anwalt Imamoglus, Kemal Polat, der Deutschen Presse-Agentur. Bis das Urteil rechtskräftig ist, könne Imamoglu sein Amt weiter ausüben.
Imamoglu ist Politiker der CHP, die laut Umfragen derzeit stimmenstärkste Oppositionspartei in der Türkei. Er gilt als einer der potenziellen Herausforderer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei den für 2023 geplanten Wahlen. Imamoglu nannte die Entscheidung bei einer Rede vor Hunderten Menschen, die vor dem Rathaus gegen das Urteil protestierten, eine »Schande« für die türkische Justiz. Er wolle sich von der Entscheidung nicht beeinflussen lassen.
Vorwurf: Mitglieder der türkischen Wahlbehörde beleidigt
Imamoglu war in der Anklageschrift vorgeworfen worden, die Mitglieder der türkischen Wahlbehörde rund um die Kommunalwahlen im Jahr 2019 öffentlich beleidigt zu haben. Er soll diejenigen, »die die Wahlen am 31. März annulliert haben«, als »Idioten« bezeichnet haben. Polat hatte den Prozess und die Vorwürfe gegen seinen Mandanten als »gegenstandslos« bezeichnet. Imamoglu habe nicht die Wahlbehörde gemeint, sondern damit auf die gleiche Beleidigung von Seiten des Innenministers gegen ihn reagiert, hieß es in der Schlussverteidigung seiner Anwälte. Der Innenminister hingegen stehe nicht vor Gericht. Oppositionelle bezeichneten den Prozess als »politisch motiviert«.
Die Wahl zum Bürgermeister von Istanbul 2019 hatte Imamoglu knapp gegen den Kandidaten der regierenden Partei AKP gewonnen. Die Wahlkommission annullierte das Ergebnis jedoch auf Antrag der AKP und ließ die Wahl wiederholen - Imamoglu gewann erneut. Seinen Sieg in der 16-Millionen-Metropole sehen Beobachter auch als indirekte Niederlage Erdogans, der Wahlkampf für den Kandidaten seiner Partei gemacht hatte. Die Stadt war zuvor über mehr als 20 Jahre von der AKP und ihren politischen Vorgängern regiert worden.
CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu brach am Abend in Reaktion auf das Urteil seine Deutschland-Reise ab, wie die Partei mitteilte.
»Erdogan räumt alle ernst zu nehmenden Konkurrenten zur Seite«
Das Auswärtige Amt in Berlin schrieb auf Twitter, das Urteil sei ein herber Rückschlag für die Demokratie. Diese lebe vom politischen Schlagabtausch. »Gerade in Wahlkampfzeiten ist die Freiheit des Wortes die wichtigste Richtschnur für einen fairen Wettbewerb«, hieß es.
Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff nannte das Urteil eine Farce. »Zum 100-jährigen Bestehen der Türkei und ein knappes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen räumt Präsident Erdogan alle ernst zu nehmenden politischen Konkurrenten zur Seite.« Aus Sicht der Freien Demokraten sei klar, dass ein Land, das europäische Werte offen mit Füßen trete, nicht länger EU-Beitrittskandidat sein könne. Die Beitrittsverhandlungen müssten endlich beendet werden.
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