Kann der neue deutsche Verteidigungsminister im Kreis der Nato-Partner verloren gegangenes Vertrauen in die Bundesregierung wieder herstellen? Vielleicht sogar dafür sorgen, dass Deutschland den Ruf des Zauderers bei der Unterstützung in der Ukraine verliert? Boris Pistorius tat bei seinem ersten Treffen mit Nato-Kollegen in Brüssel viel dafür, sich von seiner umstrittenen Vorgängerin Christine Lambrecht abzusetzen.
Ungewöhnlich lange 13 Minuten nahm sich der SPD-Politiker bereits zum Auftakt des Treffens in der Brüsseler Bündniszentrale Zeit, um neue Ankündigungen zu machen und kritische Fragen zu beantworten. Wer ein explizites Nein zu Kampfjet-Lieferungen erwartet hatte, wurde enttäuscht - ebenso derjenige, der diplomatische Rücksicht auf schwierige Partner wie Polen prognostiziert hatte.
Er habe »wenig Verständnis« für Länder, die zuletzt bei Panzerlieferungen Druck auf Deutschland gemacht hätten, nun aber selbst Lieferprobleme haben, sagte Pistorius vor Beratungen der internationalen Kontaktgruppe für Waffenlieferungen an die Ukraine, die dem eigentlichen Nato-Treffen vorgelagert waren.
Auch äußerte sich der 62-Jährige offen enttäuscht darüber, dass etliche andere europäische Länder offensichtlich nicht einmal die Absicht haben, schnell Lieferzusagen zu machen. Bislang haben neben Deutschland nur Portugal, Norwegen und Polen konkrete Zusagen gemacht, wobei es bei Panzern aus Polen nach Angaben von Pistorius möglicherweise Probleme hinsichtlich des Zustands und der Einsatzfähigkeit der Panzer gibt.
Pistorius: »Diskussion über Kampfjets« nicht im Vordergrund
Dass Deutschland sich bislang beim Thema Kampfjets zurückhält, erklärte Pistorius damit, dass für die Ukraine derzeit andere Dinge weitaus wichtiger seien. »Ich glaube, dass alle verstanden haben, dass die Frage der Luftverteidigung und die Frage der Munitionsnachbeschaffung viel wichtiger sind im Augenblick als die Diskussion über Kampfjets«, sagte er ohne eine deutsche Zustimmung oder Beteiligung an möglichen zukünftigen Lieferungen auszuschließen. Alle wüssten, dass allein die Ausbildung zum Fliegen schon mehrere Monate dauere - ganz abgesehen von der Vermittlung der Fähigkeiten, die es brauche, um die Waffensysteme auch zum Einsatz zu bringen.
Aus Deutschland mitgebracht hatte der frühere Innenminister von Niedersachsen die Ankündigung, dass die Bundesregierung für die Ukraine neue Munition für die Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard bestellt hat. Die Verträge mit den Herstellern seien unterschrieben, sagte er. Für die Ukraine gehe es derzeit darum, den Luftraum nicht an die russische Luftwaffe zu verlieren und nicht noch mehr Bombardierungen und Angriffe auf kritische Infrastruktur hinnehmen zu müssen. »Wir erleben heute, dass die Offensiven der Russen zunehmen, Russland will die Initiative zurückgewinnen im Donbass.«
Die Frage ist allerdings, ob die neue Unterstützung rechtzeitig kommt. Pistorius wies am Dienstag in Brüssel daraufhin, dass US-Generalstabschef Mark Milley Munitionsnachschub für die Ukraine bereits im Herbst als Herausforderung schlechthin für die nächsten sechs Monate beschrieben hatte. »Das hat zunächst nicht Widerhall gefunden. Alle haben nur - in Anführungsstrichen - über Panzer gesprochen.« Jetzt nehme das Thema Fahrt auf. »Hoffentlich nicht zu spät«, ergänzte er. Vom Hersteller Rheinmetall hatte es im Dezember geheißen, die Fertigung in der neuen Fabrik im niedersächsischen Unterlüß werde erst im Juni beginnen.
Widerspruch aus den Niederlanden
Ganz ohne Widerspruch blieben zudem auch die Äußerungen von Pistorius nicht. So machte die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren in Brüssel deutlich, dass Deutschland aus niederländischer Sicht auch diejenigen 18 Leopard-2-Panzer in die Ukraine schicken könnte, die ihr Land derzeit von der Bundesrepublik least. Zudem hieß es aus Bündniskreisen, dass auch die Lieferung von Kampfjets nun bereits in größerer Runde besprochen werde. Ollongren hatte zuvor gesagt, die Niederlande nähmen eine Anfrage der Ukraine nach Jets vom Typ F-16 aus US-Produktion sehr ernst. Dieses Thema müsse nun mit Partnern wie den USA diskutiert werden. Die Ukraine sei sich natürlich darüber bewusst, dass dies etwas ist, das Zeit brauche.
Zu der Frage, wann die Nato proaktiver handeln wird, verwies Pistorius darauf, dass er erst seit etwas mehr als drei Wochen im Amt sei. »Ich bemühe mich nach Kräften, (...) vor die Lage zu kommen. Das ist nicht immer ganz einfach, zumal die Interessenlagen auch nicht alle identisch sind und auch die Fähigkeiten nicht so, wie man bisweilen den Eindruck hat«, sagte er in Anspielung auf die Schwierigkeiten bei den geplanten Panzerlieferungen.
Wie wichtig gerade die Lieferung weiterer Munition an die Ukraine ist, hatte bereits am Vortag auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg deutlich gemacht. Russlands Präsident Wladimir Putin schicke derzeit Abertausende neue Truppen in das Land und akzeptiere viele Opfer und Verluste, warnte er. »Was Russland an Qualität fehlt, versucht es, quantitativ auszugleichen.«
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