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Pflegebedürftige in Nöten - Rufe nach Finanzreformen

In der alternden Gesellschaft sind immer mehr Menschen auf Pflege angewiesen - und die wird immer teurer. Gelingt 2023 ein großer Wurf, um Pflegebedürftigen und ihren Familien mehr Entlastung zu bringen?

Pflegebedürftige
Experten gehen davon aus, dass bis 2030 die Zahl der Pflegebedürftigen auf bis zu 5,75 Millionen steigen wird. Foto: Marijan Murat
Experten gehen davon aus, dass bis 2030 die Zahl der Pflegebedürftigen auf bis zu 5,75 Millionen steigen wird.
Foto: Marijan Murat

Der Druck für Reformen bei der Finanzierung der Pflege in Deutschland wächst angesichts zahlreicher Kostensteigerungen weiter. Patientenschützer dringen auf ein rasches Anheben der regulären Unterstützung für Pflegebedürftige, die zu Hause betreut werden.

»Die Betroffenen und ihre Angehörigen gehen finanziell unter, aber die Bundesregierung schaut nur zu«, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. Auch im abgelaufenen Jahr sei das Pflegegeld nicht angepasst worden. Insgesamt könnte die Zahl der Pflegebedürftigen laut einer Analyse allein in dieser Bundestagswahlperiode um eine halbe Million steigen.

Patientenschützer Brysch forderte: »Es braucht jetzt eine Anhebung der Pflegegeldleistung um einmalig 25 Prozent. Ebenso ist eine verbindliche jährliche Dynamisierung notwendig.« Die Not der Pflegebedürftigen daheim sei »noch nie so groß wie heute« gewesen. Trotz einer Zusage im Koalitionsvertrag hätten die 4,2 Millionen zu Hause gepflegten Menschen auch 2022 wie in den letzten fünf Jahren keinen Cent mehr erhalten. Dabei seien die Lebenshaltungskosten seit der vorerst letzten Erhöhung des Pflegegelds 2017 explodiert.

SPD, Grüne und FDP hatten im Koalitionsvertrag vereinbart: »Wir dynamisieren das Pflegegeld ab 2022 regelhaft.« Es wird von der Pflegekasse als Unterstützung an Pflegebedürftige überwiesen, die nicht in Einrichtungen betreut werden. Sie können es frei verwenden, etwa für Betreuungspersonen. Je nach Pflegegrad liegt es nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums zwischen 316 und 901 Euro im Monat.

Bis 2030 Zunahme auf bis zu 5,75 Millionen Pflegebedürftige

Bei der Zahl der Pflegebedürftigen insgesamt sei noch bis Mitte des Jahrzehnts weiter ein »beschleunigter Anstieg« zu erwarten, wie es in einer neuen Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherung (PKV) heißt. Ausgehend von 4,9 Millionen Pflegebedürftigen Ende 2021 könnten es bis 2025 zwischen 5,46 und 5,48 Millionen sein. Bis 2030 könnte es dann eine Zunahme auf bis zu 5,75 Millionen geben, heißt es in der Kurzanalyse, die der dpa vorliegt. Sie bezog auch eine neue Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes bis 2070 ein, die Anfang Dezember erschien.

Generell ergebe sich eine »starke Zunahme des finanziellen Drucks auf die Pflegeversicherung und des Bedarfs an Pflegefachkräften«, heißt es in der Analyse. Bis 2070 könnte sich »eine Spannweite von 6,62 bis 7,48 Millionen« Pflegebedürftigen einstellen. PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther sagte: »Noch reicht die Zeit, um eine ergänzende Vorsorge für die Pflege aufzubauen - aber es ist fünf vor zwölf.« Die private Pflegeversicherung habe für Folgen der Alterung schon 47 Milliarden Euro als kapitalgedeckte »Demografie-Reserve« angespart. Noch mehr Menschen sollten per Pflege-Zusatzversicherung vorsorgen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will im neuen Jahr ein großes Gesetz zur Pflegefinanzierung angehen. Im Blick steht auch die Dynamisierung vieler Leistungen, wie es aus dem Ministerium hieß. Denn derzeit fresse die Inflation die Pflegesätze quasi auf.

Nur »eine Revolution« bei der Finanzierung wird die Kosten decken

Zu schaffen machen Kostensprünge auch vielen Bewohnerinnen und Bewohnern in Pflegeheimen. Sie bekommen zur Entlastung seit Anfang 2022 neben den Zahlungen der Pflegekasse schon einen Zuschlag, der mit längerem Heimaufenthalt steigt. Doch selbst zu zahlende Anteile gingen zuletzt weiter hoch und wurden damit nur teilweise abgefedert, wie eine Auswertung des Verbands der Ersatzkassen ergab. Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung - anders als die Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Im Heim kommen auch noch Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen hinzu.

Die neuen Kostendämpfer-Zuschläge summierten sich von Januar bis Ende September auf 2,6 Milliarden Euro, wie das Gesundheitsministerium auf eine Frage der Linksfraktion antwortete. Geld bekamen demnach im Schnitt der ersten drei Quartale 699.000 Pflegebedürftige. Davon erhielten 25,4 Prozent den kleinsten Zuschlag, der im ersten Jahr im Heim gezahlt wird und den Eigenanteil für die Pflege um 5 Prozent senkt. Den ab dem vierten Heimjahr fälligen höchsten Zuschlag mit einem Senkungseffekt von 70 Prozent bekamen demnach 41,8 Prozent.

Linke-Experte Ates Gürpinar sagte, finanzielle Unsicherheit für Menschen mit Pflegebedarf müsse sofort ein Ende haben. Langfristig werde nur »eine Revolution« bei der Finanzierung die Kosten decken können - mit einer solidarischen Pflegeversicherung, in die alle nach ihren Möglichkeiten einzahlen. Das sei der einzige zuverlässige Schutz vor Armut durch Pflege.

© dpa-infocom, dpa:221227-99-24138/3