Logo
Aktuell Ausland

Pekings Verständnis für Putin bröckelt

China ist nicht glücklich über den Ukraine-Krieg, will aber auch kein schwaches Russland. Wenn Kanzler Scholz nach Peking reist, geht es auch um deutsche Lehren aus der Abhängigkeit von Russland.

Xi Jinping
Chinas Präsident Xi Jinping vor der Eröffnungszeremonie des 20. Nationalen Kongresses der Kommunistischen Partei. Foto: Kyodo
Chinas Präsident Xi Jinping vor der Eröffnungszeremonie des 20. Nationalen Kongresses der Kommunistischen Partei.
Foto: Kyodo

Chinas Rückendeckung für Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine hat Risse bekommen. Die Führung in Peking steckt im Dilemma: Die Gegnerschaft gegen die USA eint beide Länder - aber je länger der Konflikt dauert, desto stiller wird die Unterstützung für Moskau. Kritische Stimmen werden lauter.

»Russlands Verhalten bei Beginn und Durchführung des Krieges beweist, dass sein militärisches Abenteuer rücksichtslos ist und seine konventionellen Streitkräfte schwach sind«, sagt etwa der Professor für internationale Beziehungen, Shi Yinhong, von der Volksuniversität in Peking, der Deutschen Presse-Agentur.

Wichtig ist in China oft auch, was nicht gesagt wird: So erwähnten führende Außenpolitiker auf einer Pressekonferenz auf dem Kongress der Kommunistischen Partei die eigentlich »grenzenlose Freundschaft« mit Russland mit keinem Wort. Auch ist es üblich, dass ein russischer Journalist anfangs die zweite oder dritte Frage zur Partnerschaft mit Moskau stellen darf. Diesmal nicht.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte im Oktober bei einem Treffen mit Staats- und Parteichef Xi Jinping schon »Sorgen und Fragen« auf chinesischer Seite anerkannt - wissend, dass er Peking einiges abverlangt. Mit den Rückschlägen der russischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld habe sich Chinas Position »schnell auf eine neue Stufe entwickelt«, glaubt Professor Shi Yinhong. Die Annexion der besetzten Gebiete in der Ukraine nach den Scheinreferenden habe die Unterstützung offenbar weiter schwinden lassen.

Kanzler Scholz besucht Peking

Wenn Olaf Scholz am 4. November zu seinem ersten Besuch als Kanzler in Peking erwartet wird, wird der Ukraine-Krieg eine wichtige Rolle spielen. Aber auch die forsche Außenpolitik Chinas, die mit ihrem propagierten »Kampfgeist« zunehmend auf Gegenwind stößt. Das erste Treffen von Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem chinesischen Kollegen Wang Yi im September bei der UN-Generalversammlung in New York sei »nicht gut gelaufen«, verrieten informierte Kreise unter Hinweis auf die Differenzen.

Das Auswärtige Amt arbeitet nun an einer neuen China-Strategie. Baerbock betont nach den Erfahrungen mit Russland, dass sich Deutschland von keinem Land mehr existenziell abhängig machen dürfe, »das unsere Werte nicht teilt«. Solche Fehler dürften nicht zweimal gemacht werden. Wirtschaftliche Abhängigkeit mache Deutschland »politisch erpressbar«, sagte sie der »Süddeutschen Zeitung« zum Umgang mit China. »Es geht nicht um komplette Abkopplung, was bei einem der größten Länder nicht geht. Aber Erschließung alternativer Märkte im asiatischen Raum, Diversifizierung und Risikomanagement.«

Auch deutsche Nachrichtendienste warnen vor China. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, warnte am Montag vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium, dass auf Dauer die weit erheblichere Bedrohung deutscher Sicherheit und Interessen von China ausgehe: »Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel.« Außenamtssprecher Wang Wenbin konterte in Peking: »Hört auf, die sogenannte Spionagegefahr durch China aufzubauschen und hört auf, Gerüchte in die Welt zu setzen, die China anschwärzen.«

Also keine leichte Reise für Scholz. Er wird der erste ausländische Regierungschef, der Staats- und Parteichef Xi Jinping nach dessen erwarteter Wiederwahl auf dem Parteitag trifft. Auch wird der Kanzler der erste Regierungschef eines G7-Mitglieds sein, der China seit Ausbruch der Corona-Pandemie und Beginn des Kriegs in der Ukraine besucht. Scholz wird ausloten müssen, wo Xi Jinping wirklich steht.

Hat China den Krieg nicht kommen sehen?

»Er muss gedacht haben, dass der Krieg schnell vorüber ist«, glaubt der Experte Richard McGregor vom australischen Lowy Institute. »Jetzt muss er nachkalibrieren.« China habe den Krieg offenbar nicht kommen sehen, obwohl sich Xi Jinping noch mit Putin zum Auftakt der Olympischen Winterspiele in Peking traf, als dieser schon die Truppen aufmarschieren ließ. »Es ist zu früh zu sagen, ob die Chinesen denken, dass sie eine Fehleinschätzung gemacht haben. Aber ich denke, sie sind definitiv dabei, sich zu drehen und zu winden.«

Der Konflikt in der Ukraine habe sich für Putin schlecht entwickelt. »Aus Xi Jinpings Perspektive ist es sicher auch nicht gut gelaufen«, sagte McGregor, der Peking für »extrem beunruhigt« hält. »Ein durchgehend geschwächtes Russland ist nicht gut für China«, glaubt der Lowy-Experte. »China hat nichts dagegen, wenn Russland der Juniorpartner in ihrer Koalition ist. Aber sie wollen auch nicht, dass es zu schwach ist.«

© dpa-infocom, dpa:221020-99-193592/4