Bei israelischen Angriffen in Rafah im Süden des Gazastreifens sind palästinensischen Angaben zufolge auch am Dienstag wieder Dutzende Menschen getötet worden. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde kamen allein bei Angriffen in der Nacht 18 Menschen ums Leben.
Mediziner in dem palästinensischen Küstengebiet sprachen zudem von mindestens 20 Todesopfern bei einem Vorfall im Westen der Stadt. Demnach waren Zelte von Vertriebenen das Ziel. Dem von der Hamas kontrollierten Zivilschutz zufolge wurden mindestens vier Granaten auf das betroffene Gebiet gefeuert. Die Angaben lassen sich allesamt bisher nicht unabhängig verifizieren.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz (SPD) forderten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Meseberg, dass Israel die Angriffe in Rafah einstellt und bei seinem Vorgehen das Völkerrecht achtet. Scholz nannte den Beschuss eines Flüchtlingslagers mit vielen Toten einen »tragischen Vorfall«. »Dieser Fall zeigt einmal mehr, weshalb sich Deutschland wie viele andere Länder auch immer wieder gegen eine groß angelegte Bodenoffensive in Rafah ausgesprochen hat - weil es eben keinen ausreichenden Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten dort geben kann«, sagte Scholz. Er forderte erneut eine Freilassung der noch immer von der Hamas festgehaltenen Geiseln - aber auch, dass genügend humanitäre Hilfe auf dem Landweg nach Gaza kommen müsse.
Israels Armee teilte am Dienstagabend mit, sie habe entgegen der Berichte nicht in der ausgewiesenen humanitären Zone Al-Mawasi angegriffen. Dort haben etliche Binnenflüchtlinge auf Anweisung der israelischen Armee Schutz gesucht.
Zuvor hatte das Militär mitgeteilt, israelische Truppen seien weiterhin im Gebiet von Rafah im Einsatz. Sie unternehmen dabei den Angaben nach Anstrengungen, um Schaden an Unbeteiligten zu verhindern.
Lager für Vertriebene in »sicherer Zone« getroffen? - Israel dementiert
Zuletzt hatte ein israelischer Luftangriff in Rafah vom Sonntagabend internationales Entsetzen ausgelöst. Dabei waren nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mindestens 45 Menschen getötet und Dutzende verletzt worden, darunter Frauen und Minderjährige.
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen teilte mit, es sei bei dem Angriff am Sonntagabend ein Lager für Vertriebene in einer als sicher deklarierten Zone getroffen worden. Die israelische Armee wies dies als »Lügen und Desinformation der Hamas« zurück. Der Angriff, der zwei ranghohen Hamas-Mitgliedern gegolten habe, habe nicht auf eine humanitäre Zone abgezielt. »Der Vorfall ereignete sich in Tal al-Sultan in einem Gebiet, das mehr als einen Kilometer von der humanitären, sicheren Zone entfernt ist«, sagte ein Militärsprecher am Dienstag. Die Armee habe das Gebiet vor dem Angriff gefilmt, um sicherzustellen, dass keine Zivilisten in der Nähe seien.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach im Parlament von einem »tragischen« Vorfall, aus dem man lernen werde. Zugleich betonte er nach Angaben seines Büros jedoch: »Ich werde nicht nachgeben oder kapitulieren. Ich werde den Krieg nicht beenden, bevor wir alle unsere Ziele erreicht haben.«
Das Militär sagte am Dienstag weiter, das Ausmaß des tödlichen Luftangriffs sei auf ein Feuer zurückzuführen, das in einer nahegelegenen Anlage ausgebrochen sei. Die Armee untersucht demnach auch, ob dort etwa Waffen gelagert waren, die bei dem Angriff explodiert und in Brand geraten sind. Angegriffen worden sei eine Anlage der Hamas.
Dringlichkeitssitzung des UN-Weltsicherheitsrats
Ein Sprecher des US-Außenministeriums bezeichnete die Bilder aus dem Zeltlager für Vertriebene im südlichen Gazastreifen als »herzzerreißend«. Man arbeite mit der israelischen Armee und Partnern vor Ort zusammen, um die Umstände des Luftangriffs zu klären.
Noch am Abend soll der Weltsicherheitsrat in New York zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. Diplomaten aus dem mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen berichteten, das Treffen sei für heute 21.30 Uhr MESZ angesetzt.
Der Internationale Gerichtshof hatte Israel am Freitag dazu verpflichtet, den Einsatz in Rafah unverzüglich zu beenden. Es dürften keine Lebensbedingungen geschaffen werden, »die zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza führen könnten«, hieß es im Richterspruch. Das Weltgericht ordnete aber keine Waffenruhe für Gaza an. Seine Entscheidungen sind bindend. Allerdings haben die UN-Richter keine Mittel, um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen.
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