Erstmals sind vor Gericht mögliche Verbrechen im Auftrag der autoritären Regierung von Alexander Lukaschenko in Belarus (Weißrussland) zur Sprache gekommen. Drei Richter in St. Gallen in der Schweiz befassten sich mit Juri Garawski, der nach eigenen Angaben 1999 als Mitglied einer Todesschwadron des Innenministeriums an der Ermordung von drei Oppositionellen beteiligt gewesen war. Im Gericht fiel immer wieder der Name von Lukaschenko. Garawski (Schreibweise auch Yury Harauski) bezichtigte ihn, die Morde in Auftrag gegeben zu haben.
Weil die Machenschaften der autoritären Regierung erstmals vor Gericht zur Sprache kommen, sprach die Menschenrechtsorganisation Viasna des inhaftierten belarussischen Friedensnobelpreisträgers Ales Bialiatski von einem Meilenstein. »Dies ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Hauptprozess, wenn eines Tages der Angeklagte Lukaschenko vor Gericht steht«, sagte Vorstandsmitglied Pavel Sapelka der Deutschen Presse-Agentur vor dem Gerichtsgebäude.
Es geht um den ehemaligen Innenminister Juri Sacharenko, den Ex-Leiter der Wahlkommission Viktor Gontschar und den Geschäftsmann Anatoli Krassowski. Der Angeklagte sagte, er sei dabei gewesen, als sie entführt und ermordet worden seien. Offiziell ist ihr Schicksal bis heute ungeklärt.
Verschwindenlassen: Ankläger beantragen Haftstrafe
Der 45-Jährige kann nach den Gesetzen in der Schweiz wegen Verschwindenlassens verurteilt werden, wenn er »im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation« handelte. Die Staatsanwaltschaft sieht das als erwiesen an. Sie beantragte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren.
Die Töchter von Sacharenko und Krassowski waren im Gerichtssaal. »Es ist schwierig für meine Seele«, sagte Alena (Jelena) Sacharenko, die in Deutschland wohnt, in der Pause. Sie habe Beruhigungsmittel genommen. Der Angeklagte lasse sie kalt. »Er ist wie ein Tier«, sagte sie.
Für Waleria Krasowskaja schilderte ihr Anwalt Severin Walz, wie die zum Zeitpunkt des Verbrechens 17-Jährige bis heute schwer unter dem Verschwinden ihres Vaters leidet. Sie habe »die Tage ihrer Jugend in Dunkelheit und Einsamkeit verbracht, jeden einzelnen Tag«, sagte er. Bei jedem Gedanken an ihren Vater lege sich ein »Schleier der Traurigkeit um ihre Seele«.
Widersprüche in Aussagen
So richtig schlau wurden Richter, Ankläger und der Nebenklägeranwalt aus Garawski nicht. Immer wieder tauchten Widersprüche in seinen Aussagen auf. Der große, bullige Mann schüttelte oft den Kopf, stand immer wieder auf, weil er seit einem schweren Autounfall 2008 nicht mehr ohne Schmerzen sitzen kann. Er trug Jeans und Kapuzenpulli und sprach so leise, dass Richter Olav Humbel ihn mehrfach aufforderte, die Stimme zu heben. Das tat er vor allem dann, wenn er mit Widersprüchen konfrontiert wurde. »Ich habe nicht getötet, nur festgenommen«, sagte er nach den Worten der Übersetzerin einmal aufgebracht. »Warum soll ich Verantwortung tragen?«
Schließlich verlas seine Übersetzerin eine Entschuldigung des Angeklagten »Ich bereue meine Rolle zutiefst«, hieß es darin. Er sei aber nur ein kleines Rädchen gewesen, habe später erkannt, wie verwerflich die Taten waren, und habe es als seine moralische Pflicht angesehen, nicht länger zu schweigen.
Die Staatsanwaltschaft argwöhnte, dass er seine Rolle bei den Verbrechen ausgeschmückt haben könnte, um in der Schweiz Asyl zu bekommen. Er habe aber genügend Angaben gemacht, die nur Täter hätten kennen können, deshalb seien seine Aussagen als glaubwürdig zu betrachten.
In Belarus herrscht der Agrarökonom Lukaschenko seit 1994, nach Angaben von Oppositionellen mit zunehmend brutalen Methoden. Nach den Präsidentschaftswahlen 2020 ließ er sich zum sechsten Mal in Folge zum Sieger erklären. Es kam zu Massenprotesten, die Lukaschenko mit Rückendeckung des engen Verbündeten Russland niederschlagen ließ. Die EU erkennt den inzwischen 69-Jährigen nicht mehr als Präsidenten an.
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