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Nur vier von zehn Ostdeutschen zufrieden mit der Demokratie

Carsten Schneider ist seit einem Jahr Ostbeauftragter der Bundesregierung. Mit seinem ersten Jahresbericht will er einen neuen Ton setzen. Doch ab Seite 88 wird klar: Die Stimmung ist desolat.

Bericht der Bundesregierung für Ostdeutschland 2022
Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland. Foto: Kay Nietfeld
Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland.
Foto: Kay Nietfeld

Eigentlich hat Carsten Schneider gute Nachrichten. »Es ist Zeit für einen neuen Blick auf Ostdeutschland«, schreibt der Ostbeauftragte der Bundesregierung in seinem Jahresbericht.

Osten gleich Nazis, Doping und die Stasi? Von wegen. Internationale Investoren wie Tesla und Intel pumpen gerade Milliarden in die ostdeutschen Länder, die viel Fläche, Fachleute und grüne Energie zu bieten haben. »Ostdeutschland ist im Aufwind«, berichtet Schneider. Doch dann schiebt hinterher: »Zumindest grundsätzlich gesprochen«.

Denn so positiv einige Investitionssignale der vergangenen Monate sind - die Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Ost und West kommt 32 Jahre nach der Vereinigung kaum noch voran. Und die Stimmung ist mies. Das gilt in der Krise bundesweit, aber in besonderem Maße für Ostdeutschland. Der Jahresbericht beleuchtet dies in einer detaillierten Umfrage unter 4000 Menschen in Ost und West, dem sogenannten Deutschland-Monitor. Ab Seite 88 des Jahresberichts sieht die Lage dann doch alles andere als rosig aus. Schneider sprach bei der Vorstellung von teils erschreckenden Zahlen.

Auch in Westdeutschland sinkt die Zufriedenheit

Einige der Ergebnisse: Nur noch 39 Prozent der befragten Ostdeutschen sagten, sie seien zufrieden mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland funktioniert - im Vergleich zu 48 Prozent vor zwei Jahren. In Westdeutschland sank der Wert von 65 auf 59 Prozent.

Nur 32 Prozent der Befragten im Osten sind der Auffassung, dass Politikerinnen und Politikern »das Wohl unseres Landes wichtig« sei. 2020 waren es noch 41 Prozent. In Westdeutschland ging es von 51 abwärts auf 42 Prozent. Nur 43 Prozent im Osten und 58 Prozent im Westen finden, dass man seine Meinung immer frei äußern könne, ohne Ärger zu bekommen - ebenfalls ein deutlicher Rückgang.

Mit der Politik der Bundesregierung sind im Osten nur noch 26 Prozent zufrieden (2020: 42 Prozent), bundesweit sind es 35 Prozent (2020: 53 Prozent). Nur 36 Prozent der Befragten bundesweit zeigten sich mit den Maßnahmen der Bundesregierung in Reaktion auf den Krieg in der Ukraine zufrieden. Bei der Corona-Politik sind es bundesweit 38 Prozent. Nur noch 23 Prozent im Osten und 33 Prozent im Westen sind zufrieden mit der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland.

Der für die Umfrage verantwortliche Meinungsforscher Holger Liljeberg stellte klar, dass die Zufriedenheit mit der politischen Situation nicht nur im Osten abnimmt. »In ganz Deutschland geht es quasi abwärts«, sagte der Geschäftsführer der Info GmbH. In der Studie entwirft er ein kompliziertes System von Cluster-Gruppen, je nach Zufriedenheit mit den politischen Institutionen: Liberal-Offene; Kleinbürgerlich-Konservative; angepasste Skeptiker; und verdrossene Populisten.

Vertrauen in die Regierung bei vielen gegen Null

Letztere müssen der Politik wohl die meisten Kopfschmerzen machen. »Da geht es ans Eingemachte«, sagte Liljeberg. Bei vielen in diesem Cluster gehe das Vertrauen in die Regierung gegen Null, sie fühlten sich in den Medien überhaupt nicht repräsentiert und bewegten sich teils abgeschottet in alternativen Informationsblasen, sähen etwa den russischen Propaganda-Sender RT als »Wahrheit« bei Themen wie Klima, Corona oder Krieg. Auch hier gelte: Im Osten sei der Anteil politikferner Gruppen zwar höher. Aber von den »verdrossenen Populisten« lebten nur 28 Prozent im Osten und 72 Prozent im Westen. Strukturschwache Regionen gebe es eben auch im Saarland, in Niedersachsen oder im Ruhrgebiet.

Der Meinungsforscher sieht trotz allem Chancen, mit »politikfernen« Gruppen wieder ins Gespräch zu kommen. »Das sind ja Menschen wie Sie und ich«, sagte er. Der Politik gab er auf, die drängenden und teils existenzbedrohenden Probleme in der gegenwärtigen Krise anzugehen und auf gleichwertige Lebensverhältnisse hinzuarbeiten.

Den Faden nahm Schneider auf und verwies auf die laufenden Bemühungen der Regierung, weitere Entlastungen auf den Weg zu bringen. Das müsse aber auch sitzen, sagte der SPD-Politiker. Angesichts der Energierechnungen stünden vielen »die Schweißperlen auf der Stirn«. Die nun fast täglich laufenden Demonstrationen sehe er auch als Ventil für die Menschen, die um ihre Existenz bangten. Die Menschen sollten bitte sensibel sein, wem sie hinterherliefen, hinter welchen Parolen und Fahnen. »Ansonsten nehme ich das ernst, aber auch wahr.«

»Die deutsche Einheit ist immer noch nicht vollendet«

Um die Verdrossenen wieder zu erreichen, sollte man nicht arrogant oder belehrend auftreten, zum Krieg nicht pathetisch kommunizieren, meinte Schneider. »Man kann Vertrauen auch wieder gewinnen.« Die Bundesregierung habe bereits wichtige Entscheidungen getroffen, etwa die Erhöhung des Mindestlohns, die dem Osten besonders zugute kommen soll. Ein Konzept, um mehr Ostdeutsche in Führungspositionen zu bringen, kündigte Schneider bis Ende des Jahres an. Den Ostdeutschen riet er zur »Selbstermächtigung« beziehungsweise zu größeren Selbstbewusstsein bei der Durchsetzung ihrer Interessen.

Die Linke lobte zwar den Versuch, den Bericht anders aufzuziehen, nannte ihn aber trotzdem ein Armutszeugnis und einen Weckruf für die Ampel. Die Bundesregierung müsse ihren Schlingerkurs bei der Krisenbewältigung beenden, sonst könnte sich die Spaltung vertiefen, meinte Linken-Chef Martin Schirdewan.

Auch die Leipziger Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta äußerte sich alarmiert. In der Krise zeige sich, »dass uns die nicht ausreichend geführte Debatte über unsere geteilte Vergangenheit und gemeinsame Zukunft anfälliger macht für gesellschaftliche Spaltungen.« Es dürfe nicht sein, dass Extremisten aus der Krise Kapital schlügen. »Der Bericht des Ostbeauftragten zeigt vor allem auch: Die deutsche Einheit ist immer noch nicht vollendet.«

© dpa-infocom, dpa:220928-99-931386/4