Unterschiedliche Positionen in Kernfragen hatten die deutsch-französische Achse im Herbst ins Holpern gebracht - das damals verschobene Ministertreffen beider Länder wird nun am Sonntag an einem historischen Datum nachgeholt.
Anlässlich des 60. Jubiläums des Élysée-Vertrags zur Aussöhnung der Nachbarn kommen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Präsident Emmanuel Macron sowie Abgeordnete beider Parlamente in Paris zusammen. Im Mittelpunkt werden dabei die Themen Wirtschaft und Energie, Sicherheit und Verteidigung sowie die Europapolitik stehen, wie es aus Regierungskreisen in Berlin und Paris hieß.
Das Ministerratstreffen war ursprünglich für Oktober geplant, dann aber überraschend abgesagt worden. Die deutsche Seite hatte das mit anhaltendem Abstimmungsbedarf begründet. Aus dem Élyséepalast hieß es damals, die wichtigen Themen Verteidigung und Energie müssten noch weiter diskutiert werden.
60 Jahre Élysée-Vertrag
Die Zusammenkunft wird an einem historisch wichtigen Datum in den deutsch-französischen Beziehungen nachgeholt. Am Sonntag jährt sich die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags durch den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer und den damaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle zum 60. Mal. Der Vertrag besiegelte 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Freundschaft der früher verfeindeten Länder.
Das Zusammentreffen beginnt am Sonntagvormittag mit einem Festakt zum Élysée-Vertrag an der Universität Sorbonne, bei dem Vertreter beider Volksvertretungen zusammenkommen und die Regierungen als Gäste geladen sind. Neben den jeweiligen Parlamentspräsidentinnen wollen Scholz und Macron Reden halten. Der 23. sogenannte deutsch-französische Ministerrat, bei dem die Kabinette beider Seiten zusammenkommen, tagt dann am Nachmittag.
Gefeilt wurde noch an einer gemeinsamen Erklärung, die auch eine Vision für die Zukunft Europas skizzieren soll. Zum Abschluss ist ein Abendessen von Macron und Scholz in einem Restaurant in der französischen Hauptstadt geplant.
Europa gemeinsam stärken
Der Kanzler und der Präsident skizzierten vor dem Treffen und im Vorgriff auf die gemeinsame Erklärung in einem Gastbeitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« Kernpunkte für die Zukunft Europas. »Für ein starkes Europa von morgen müssen wir jetzt stärker in unsere Streitkräfte und in die Grundlagen unserer Rüstungsindustrie in Europa investieren.« Das verbessere die Verteidigungsfähigkeit und mache Europa auch für die Vereinigten Staaten zu einem stärkeren Partner, hieß es in dem Beitrag.
Auf dem Pariser Treffen wird die Frage der weiteren Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine eines der Themen bei einer Runde mit Scholz, Macron sowie den Außen- und Verteidigungsministern beider Seiten sein. Zur strittigen Frage der Lieferung von Kampfpanzern wurde von französischer Seite aber am Sonntag noch nicht mit einem Durchbruch gerechnet. Auch die Zusammenarbeit in EU und Nato soll besprochen werden.
Zusammenarbeit im Bereich Energie
Im Wirtschaftsteil der Zusammenkunft soll es, wie es in Berlin und Paris hieß, unter anderem um die Zusammenarbeit im Bereich Energie gehen, wo beide Länder einander mit Lieferungen aushelfen, die Umstellung auf ein klimafreundlicheres Wirtschaftssystem und den Umgang mit dem US-Inflationsbekämpfungsgesetz, das milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz vorsieht. Subventionen und Steuergutschriften sind allerdings daran geknüpft, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren, weshalb man in Europa Nachteile für heimische Unternehmen fürchtet.
»Wir werden uns nachdrücklich für eine ehrgeizige Strategie zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und für ein europäisches Umfeld einsetzen, das zu Wettbewerb und Innovationen anregt (...)«, schrieben Scholz und Macron in der »FAZ«, ohne den befürchteten Handelsstreit mit den USA direkt anzusprechen. Mit Blick auf den westlichen Balkan strebe man schnelle und konkrete Fortschritte im EU-Erweiterungsprozess an, betonten der Kanzler und der Präsident. Gleichzeitig müsse eine erweiterte EU aber handlungsfähig bleiben.
Bei dem Pariser Treffen geht es auch darum, der deutsch-französischen Partnerschaft zu frischem Elan zu verhelfen. Vorgestellt werden die ersten Teilnehmer am neu geschaffenen Netzwerk »Generation Europa« für deutsche und französische Nachwuchskräfte. Auch ein deutsch-französisches Bahnticket für Jugendliche, mit dem Bahnfahrten günstiger werden, soll auf den Weg gebracht werden.
Beide Seiten betonten, in den Beziehungen beider Länder dominierten die Gemeinsamkeiten und die enge Zusammenarbeit. In Paris hieß es, man sei derart an die Kooperation mit Berlin gewöhnt, dass es gleich auffalle, wenn einmal etwas nicht gleich funktioniert. Vielleicht sei die Beziehung von Paris manchmal auch zu romantisch und in Berlin eher rational gesehen worden.
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