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Neue Phase im Libyen-Krieg: Türkei entsendet eigene Truppen

Im libyschen Bürgerkrieg mischen sich längst mehrere Staaten mit. Nun steigt die Türkei direkt mit ein. Acht Jahre nach dem Sturz von Langzeitherrscher Al-Gaddafi droht der Konflikt sich zu einem der gefährlichsten Stellvertreterkriege in der Region zu entwickeln.

Recep Tayyip Erdogan
Präsident Erdogan will die international anerkannte Regierung unter Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch mit Soldaten stützen. Foto: Uncredited/Pool Presidential Press Service/AP/dpa
Präsident Erdogan will die international anerkannte Regierung unter Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch mit Soldaten stützen. Foto: Uncredited/Pool Presidential Press Service/AP/dpa

Istanbul/Tripolis (dpa) - Der zähe Machtkampf in Libyen gehört in Nordafrika längst zum düsteren politischen Alltag. Mit der Ankündigung der Türkei, dass sie nun erste Soldaten in das Bürgerkriegsland entsandt hat, erreicht der Konflikt eine neue Phase.

Ägypten als mächtiger Mitspieler und direkter Nachbar ist in Alarmbereitschaft. Und die Aussichten auf die erhoffte Libyen-Konferenz, die die wichtigsten Akteure in Berlin an einen Tisch bringen und den UN-Friedensprozess stützen soll, sind ungewiss.

Ägypten und Saudi-Arabien kritisierten die Ankündigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan scharf. Das ägyptische und das saudische Außenministerium sprachen von einem »eklatanten« Verstoß gegen internationales Recht und bestehende UN-Resolutionen. Beide Länder unterstützen in Libyen den mächtigen General Chalifa Haftar, dessen Truppen seit Monaten versuchen, die Hauptstadt Tripolis einzunehmen. Erdogan hatte am späten Sonntagabend in einem Interview des Senders CNN Türk gesagt, dass erste Truppen bereits entsandt würden. Er unterstützt die Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch.

Wie viele Soldaten nach Libyen gehen, blieb zunächst unklar. Klar ist: Kämpfen sollen die türkischen Militärs, darunter ein General, nicht. Erdogan sprach von Koordinationsaufgaben in einer »Operationszentrale«. Der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge geht es auch um Ausbildungs- und Schulungsprogramme und den Austausch von technischem Wissen und Erfahrung. Erdogan betonte, das Ziel sei nicht, zu »kämpfen oder einen Krieg (zu) führen«, sondern die »legitime Regierung« zu unterstützen. Es gehe darum, eine »Waffenruhe in Libyen zu gewährleisten« und dem Land zu einem politischen Prozess zu verhelfen.

Trotzdem wird die Türkei Einfluss nehmen auf die Kampfhandlungen: »Als Kampftruppen werden wir dort andere Teams haben, sie werden nicht aus unseren Soldaten bestehen«, sagte Erdogan, ohne zu erklären, wer damit gemeint ist. Manche Beobachter sagen, dass sich von der Türkei unterstützte syrische Milizionäre in Libyen aufhalten. Erdogans Bemerkungen könnten daraufhin deuten.

Abzuwarten bleibt inwieweit sich das Kräfteverhältnis im Kampf um Tripolis verschiebt. Haftars Truppen der selbst ernannten Libyschen Nationalarmee (LNA) scheinen zu schwach, um die Stadt selbst einzunehmen. Sie sollen aber auch von Russland unterstützt werden. Der UN-Sonderbeauftragte Ghassan Salamé hatte sich vergangenen Monat »sehr besorgt« gezeigt wegen der angeblichen russischen Beteiligung. Das Land wird geradezu überschwemmt mit Waffen, immer wieder verstoßen Staaten gegen das bestehende UN-Waffenembargo.

Uneigennützig ist Erdogans Hilfe für Libyen zumindest nicht. Für Erdogan ist die Allianz mit der international anerkannten Regierung von Al-Sarradsch auch ein Hilfsmittel im Streit um Energiereserven im Mittelmeer. Aus Sicht der Türkei hatten Anrainer im Streit bisher unerschlossene, aber milliardenschwere Erdgasreserven unter sich aufgeteilt, ohne Ansprüche der Türkei zu berücksichtigen.

Die Reaktion war, wie so oft, streitbar: Im November unterzeichnete die Türkei zwei Abkommen mit Libyen. Dabei ging es einerseits um die militärische Zusammenarbeit, andererseits auch um Seegrenzen zwischen der Türkei und Libyen im Mittelmeer. Damit erhebt die Türkei Anspruch auf Gebiete nahe der griechischen Insel Kreta, wo reiche Erdgasvorkommen vermutet werden.

Mit dem direkten Eintritt der Türkei in den Konflikt droht Libyen sich in einen der gefährlichsten Stellvertreterkriege in der Region zu entwickeln. Acht Jahre nach dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi versinkt das Land immer tiefer in den Kämpfen um die Macht. Terrorgruppen wie der Islamische Staat und Al-Kaida erstarken im Chaos. Zugleich ziehen unzählige Migranten durch den Wüstenstaat in der Hoffnung, Europa über das Mittelmeer zu erreichen.

Auch für Deutschland rückt Libyen wieder nach ganz oben auf der Nahost-Agenda. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte am Montag mit Erdogan unter anderem wegen Libyen, zuvor hatte sie deshalb bereits mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premier Boris Johnson gesprochen.