Sie redet mehr als eine Stunde, doch eine entscheidende Frage bleibt unbeantwortet: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lässt ihre politische Zukunft ungeachtet der nahenden Europawahl im Juni 2024 offen.
In ihrer jährlichen Rede zur Lage der Union vor dem Europaparlament machte die deutsche Spitzenpolitikerin am Mittwoch in Straßburg keine Andeutungen dazu, ob sie eine zweite fünfjährige Amtszeit anstrebt.
Stattdessen legte die 64-Jährige einen Schwerpunkt auf geplante Projekte in den nächsten Monaten und kündigte eine Untersuchung wegen der chinesischen Subventionen für E-Autos und Vorbereitungen für eine Erweiterung der EU um Länder wie die Ukraine an.
Daneben ging es um die bisherigen Erfolge im Kampf gegen illegale Migration und Bemühungen für den Klimaschutz. Wer wollte, konnte das als inoffizielle Bewerbungsrede verstehen - offensichtlich war es allerdings nicht.
Nato oder EU?
Von der Leyen bleibt sich damit treu und lässt ihre politischen Zukunftspläne vorerst offen. Als ein möglicher Grund gilt, dass sie nicht jetzt schon mit dem Wahlkampf beginnen will, sondern noch einige Monate wichtige EU-Projekte vorantreiben möchte.
Spekuliert wird aber auch, dass vor allem US-Präsident Joe Biden sie gerne als Nachfolger von Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär sehen würde und sie sich diese Möglichkeit noch offenhalten will. Der Norweger Stoltenberg will sein Amt nach dem nächsten großen Bündnisgipfel im Sommer 2024 in Washington endgültig abgeben.
Als frühere Verteidigungsministerin gilt von der Leyen als mögliche Idealbesetzung für den Spitzenjob. Zugleich wäre ein Jobwechsel allerdings wohl unter dem Strich mit einem Machtverlust verbunden. Als Kommissionspräsidentin ist die Deutsche derzeit Chefin von rund 32.000 Mitarbeitern und für neue EU-Gesetzesvorschläge zuständig. Zudem sitzt sie bei fast allen großen internationalen Gipfeltreffen wie G7 oder G20 als EU-Repräsentantin mit am Tisch.
Der Job von Stoltenberg ist hingegen »nur« der eines Generalsekretärs, der vor allem für die Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten und die Repräsentation der Nato in der Öffentlichkeit zuständig ist. Die Zahl der Mitarbeiter des internationalen Stabes der Nato wurde zuletzt lediglich mit etwa 1000 zivilen und 500 militärischen Mitarbeitern angegeben.
CDU-Spitze für zweite Amtszeit
Befürwortet wird eine mögliche weitere Amtszeit von der Leyens unter anderem von der CDU-Spitze. »Unsere Unterstützung im Falle einer entsprechenden Bereitschaft hat sie«, sagte Parteichef Friedrich Merz bereits im April nach einer CDU-Präsidiumssitzung.
Von der Leyen erklärte damals zu der Frage nach einer erneuten Kandidatur, sie habe ihre Entscheidung noch nicht getroffen. Für sie sei wichtig, dass in diesen kritischen Zeiten die Institutionen der EU geschlossen arbeiteten.
Zu den anstehenden Wahlen äußerte sich von der Leyen am Mittwoch lediglich allgemein. »In weniger als 300 Tagen werden die Europäerinnen und Europäer in unserer einzigartigen und bemerkenswerten Demokratie zu den Wahlurnen gehen«, sagte sie.
Wie bei jeder Wahl werde dies der Moment sein, »wenn die Menschen über die Lage in unserer Europäischen Union nachdenken werden - und darüber, was jene geleistet haben, die unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger vertreten«.
Um weitere fünf Jahre an der Spitze der EU-Kommission bleiben zu können, müsste sich die CDU-Politikerin von der Leyen nach derzeitigem Stand der Dinge als Spitzenkandidatin der europäischen Parteienfamilie EVP für die Europawahl aufstellen lassen.
Zu dieser gehören neben der deutschen CDU und CSU unter anderem die österreichische ÖVP, die italienische Forza Italia oder Spaniens konservative Volkspartei PP. In der EVP regte sich jedoch zuletzt Widerstand - vor allem gegen die engagierte Klimaschutzpolitik der Deutschen.
CSU-Abgeordneter Ferber kritisiert Rede
Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber kritisierte auch die Rede von der Leyens. »Wolkige Ankündigungen, Recycling bekannter Vorschläge und wenig Neues« seien darin vorgekommen, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion. Die Kommissionspräsidentin habe in ihrer Rede die Chance verpasst, die Behörde neu auszurichten.
Grüne Politiker versuchen die Spannungen derzeit zu nutzen und legen den Finger in die Wunde. Wenn von der Leyen nicht zügig ihre erneute Kandidatur erkläre, schwäche sie ihre Klimaschutzpolitik, warnte die Europaabgeordnete Jutta Paulus nach der Rede in Straßburg.
Internationale Konferenz gegen Menschenhandel
Die EU-Kommission plant ihrer Rede zufolge eine Internationale Konferenz gegen Menschenhandel. »Es ist Zeit, diesem skrupellosen und verbrecherischen Geschäft ein Ende zu bereiten«, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Rede.
Schlepper köderten verzweifelte Menschen und schickten sie über tödliche Routen durch die Wüste oder in nicht seetüchtigen Booten aufs offene Meer, beklagte von der Leyen. Gesetze müssten strenger angewendet werden, außerdem bräuchten EU-Behörden wie zum Beispiel die Grenzschutzagentur Frontex mehr Befugnisse. Allerdings könne der weltweite Menschenhandel nur in Zusammenarbeit mit den Partnern bekämpft werden, weshalb es eine Konferenz brauche.
Ukraine-Flüchtlinge sollen weiter von Sonderregeln profitieren
Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollen außerdem mindestens bis März 2025 problemlos in der EU bleiben können. Die Kommission werde vorschlagen, die Regelung für den vorübergehenden Schutz für die Ukrainerinnen und Ukrainer in der EU zu verlängern, kündigte von der Leyen an.
Die vier Millionen Menschen, die seit Beginn des Krieges in der EU Zuflucht gefunden haben, seien heute noch genauso willkommen wie in den schicksalhaften ersten Wochen. »Unsere Unterstützung der Ukraine wird von Dauer sein«, sagte die deutsche Spitzenpolitikerin.
Düstere Umfragewerte
In der deutschen Bevölkerung wird eine zweite Amtszeit von der Leyens derzeit eher kritisch gesehen. Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey waren zuletzt nur 24 Prozent der Befragten »auf jeden Fall« oder »eher« dafür, wie aus Zahlen für das digitale Medienhaus Table.Media hervorgeht.
Knapp 52 Prozent der Befragten antworteten auf die Frage, ob sie ein Antreten von der Leyens für eine zweite Amtszeit befürworten würden, hingegen mit »Nein, auf keinen Fall«, rund acht Prozent mit »Eher nein«.
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