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Nebenhaushalte auf Prüfstand: Folgen des Haushaltsurteils

Sachverständige sollen helfen, die Folgen des Urteils abzuschätzen. Was ist mit den Energiepreisbremsen? Kann der Etat 2024 beschlossen werden? Und ist im Haushalt 2023 alles mit rechten Dingen gelaufen?

Bundestag
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r-l), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) verfolgen im Plenum des Deutschen Bundestages die Debatte. Foto: Christoph Soeder/DPA
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r-l), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) verfolgen im Plenum des Deutschen Bundestages die Debatte.
Foto: Christoph Soeder/DPA

Nach dem Karlsruher Haushaltsurteil stehen alle Nebenhaushalte des Bundes auf dem Prüfstand. Das Finanzministerium hat deshalb im Etat des laufenden Jahres vorsorglich Finanzzusagen für die Zukunft gesperrt. Denn man kann sich gerade nicht sicher sein, welche Gelder in den kommenden Jahren überhaupt noch fließen können.

Mit der neusten Sperre dürfen die im Haushalt für 2023 geplanten Mittel zwar weiter ausgegeben werden. Doch die Ministerien dürfen keine Versprechen für 2024, 2025 und 2026 mehr machen. Das untersagte das Finanzministerium für den Fall, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch auf ältere Rücklagen in anderen Sondervermögen anzuwenden ist.

Dass das so ist, ist unter Experten kaum umstritten. In einer Anhörung im Bundestag beschrieben Sachverständige Auswirkungen vor allem auf das Sondervermögen für die Energiepreisbremsen. Es sei unter ähnlichen Maßgaben entstanden wie der Klima- und Transformationsfonds, zu dem das Verfassungsgericht geurteilt hatte.

Auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) sei 2022 in der Energie-Notlage mit Krediten gefüttert worden, die aber nicht im gleichen Jahr, sondern später genutzt würden. Das Karlsruher Gericht hatte jedoch entschieden, dass der Bund die Ausnahmeregel der Schuldenbremse nicht ausnutzen darf, um Kredite auf Vorrat anzuhäufen.

Damit hat der Bund nach Auffassung der Sachverständigen und auch des Finanzministeriums im laufenden Jahr Geld ausgegeben, das ihm gar nicht zur Verfügung stand. Es fehlen also nicht nur 60 Milliarden Euro für Klimaprojekte und die Modernisierung der Wirtschaft. Der Bund muss vielmehr nachträglich eine Rechtfertigung für Milliardenkredite für die Energiepreisbremsen finden. Und es könnten sogar weitere Nebenhaushalte betroffen sein.

Welche Sondervermögen hat der Bund überhaupt?

Einer Aufstellung des Bundesrechnungshofs zufolge unterhält der Bund aktuell 29 Sondervermögen. Diese Nebenhaushalte sind keine Erfindung der Ampel-Regierung: Das älteste stammt aus dem Jahr 1951 und förderte den Bau von Wohnungen für Bergarbeiter. Es gibt zum Beispiel auch Fonds zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben, einen Binnenschifffahrtsfonds, ein Sondervermögen zum Ausbau von Kita-Plätzen und eins für digitale Infrastruktur.

Die neuesten Sondervermögen sind Wirtschaftshilfen wegen der Corona-Krise, Aufbauhilfen für Flutopfer, der 100 Milliarden Euro schwere Sondertopf für die Bundeswehr und der Topf für die Energiepreisbremsen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Könnten alle vom Karlsruher Urteil betroffen sein?

Nein - und das aus mehreren Gründen. Zum einen äußerte sich das Bundesverfassungsgericht nur zu schuldenfinanzierten Sondervermögen. Es gibt aber auch Töpfe, die sich durch eigene Einnahmen finanzieren. Ein Beispiel ist das sogenannte ERP-Sondervermögen, das ursprünglich mit Mitteln aus dem Marshall-Plan ausgestattet wurde. Laut Rechnungshof ist aber der überwiegende Teil der Sondervermögen kreditfinanziert - Ende 2022 gab es demnach noch ein Verschuldungspotenzial von rund 522 Milliarden Euro.

Ausgenommen vom Haushaltsurteil dürften im Grunde auch solche Sondervermögen sein, die vor Einführung der Schuldenbremse entstanden. Denn Artikel 143d des Grundgesetzes regelt, dass nur Kreditermächtigungen für die Schuldenbremse angerechnet werden, die nach 2010 bewilligt wurden.

Was ist mit dem Geld für die Bundeswehr?

Auch das ist nach bisheriger Auffassung in der Ampel-Koalition nicht betroffen. Grund ist, dass der Bundestag den mit Krediten in Höhe von 100 Milliarden Euro gefüllten Topf separat im Grundgesetz verankerte. Mit Zustimmung der Union wurde in der Verfassung nicht nur festgeschrieben, wofür das Geld genutzt werden darf, sondern auch, dass die Schuldenbremse hier nicht greift. Darauf hatte besonders die FDP bestanden, um die Mittel extra gut abzusichern.

Was passiert, wenn der »Doppelwumms« mit den Energiepreisbremsen tatsächlich betroffen ist?

Das stellt die Bundesregierung voraussichtlich vor noch größere Probleme als die fehlenden 60 Milliarden im Klima- und Transformationsfonds. Denn auch der WSF wurde quasi mit Krediten auf Vorrat ausgestattet. Allein in diesem Jahr wurden nach Angaben aus dem Wirtschaftsministerium 37 Milliarden Euro davon ausgezahlt. Das hätte nach Auffassung der Experten nicht passieren dürfen. Rund 103 Milliarden hätten nach den Plänen des Finanzministeriums ins kommende Jahr übertragen werden sollen.

Bundesregierung und Bundestag müssen jetzt also einen Weg finden, die in diesem Jahr ausgezahlten Gelder vor Jahresende noch locker zu machen. Das Finanzministerium sperrte am Dienstag vorsorglich erst einmal alle Ausgaben des WSF für das laufende Jahr. »Die Auszahlung der Energiepreisbremsen im Jahr 2023 ist nicht betroffen«, hieß es aus Ministeriumskreisen. Wie die Hilfen finanziert werden sollten, blieb zunächst aber unklar.

Müssen die Kunden Geld zurückzahlen?

Das ist unwahrscheinlich. Denn Bundesregierung und Bundestag haben die Energiepreisbremsen beschlossen - wie sie sie finanzieren, ist ihr Problem. Es ist aber denkbar, dass die Bundesregierung die Strom- und Gaspreisbremsen nun vorzeitig streicht. Eigentlich sollten sie nämlich zur Absicherung auch im Frühjahr 2024 noch gelten, obwohl die Preise aktuell nicht so hoch sind. Sollten die Energiepreise nun im Winter erneut anziehen, könnten sie nicht mehr staatlich gebremst werden. »Dann werden wir höhere Gas- und Strompreise und Fernwärmepreise haben«, warnte Habeck.

Um das Problem mit dem Haushalt des laufenden Jahres zu klären, könnte nach Auffassung mehrerer Sachverständiger erneut eine Notlage erklärt werden. Die Auswirkungen der Energiekrise seien Anfang 2023 noch immer zu spüren gewesen, argumentieren sie. Eine solche Notlage würde ermöglichen, dass der Bundestag trotz Schuldenbremse Kredite genehmigt. Das müsste nach Meinung des von der Union bestellten Juristen Hanno Kube aber auf die verfassungswidrig genutzten Kredite aus dem WSF beschränkt sein, da nur sie direkt mit der Energiekrise zusammenhingen.

Welche Konsequenzen zieht der Bund?

Das ist noch offen. Der Haushaltsausschuss des Bundestags will am Donnerstag erneut zusammengekommen. Die Ampel-Fraktionen plädieren dafür, dann den Etat für das kommende Jahr abzusegnen. Die Union hält das nicht für möglich, weil noch nicht alle Folgen des Urteils klar sind. Die Sachverständigen waren am Dienstag unterschiedlicher Meinung in dieser Frage. Selbst wenn es einen Beschluss geben sollte, scheint ein rascher Nachtragshaushalt wahrscheinlich. Ohne Beschluss müsste die Regierung Anfang 2024 zunächst mit vorläufiger Haushaltsführung arbeiten. Das bedeutet, dass erst einmal nur Ausgaben erlaubt sind, die aus rechtlichen, vertraglichen oder anderen Gründen nicht aufgeschoben werden können.

© dpa-infocom, dpa:231121-99-21743/12