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Nato-Staaten beschließen drastische Stärkung der Ostflanke

Die Nato reagiert auf die russische Kriegspolitik. Künftig sollen mehr als sieben Mal so viele Soldaten wie bislang für den Ernstfall in hoher Bereitschaft sein. Die USA bauen indessen ihre Truppenpräsenz in Europa weiter aus.

Biden und Stoltenberg
US-Präsident Joe Biden (l) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Madrid. Foto: Susan Walsh
US-Präsident Joe Biden (l) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Madrid.
Foto: Susan Walsh

Die 30 Nato-Staaten haben angesichts von Russlands Krieg gegen die Ukraine eine deutliche Verstärkung der Ostflanke beschlossen.

Zudem stimmten die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Madrid einem neuen Streitkräfte-Modell zu. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von einem »grundlegenden Wandel in unserer Verteidigung und Abschreckung«.

Man werde Vorneverteidigung wie Luftverteidigung stärken und die Kampftruppen im östlichen Bündnisgebiet ausbauen. Zudem werde man künftig mehr als 300.000 Soldaten in hoher Einsatzbereitschaft halten. Dazu werde die bisherige schnelle Nato-Eingreiftruppe NRF durch das neue Streitkräfte-Modell ersetzt. Die NRF hat bisher lediglich eine Größe von rund 40.000 Soldaten.

Großverband als Bundeswehr-Beitrag

Beitrag der Bundeswehr zu dem neuen Konzept wird nach Angaben von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht mindestens ein Großverband sein. »Deutschland ist bereit dazu, seinen Beitrag zu leisten. Wir haben schon angekündigt, dass wir bereit sind, eine Division zu stellen, sprich 15.000 Soldatinnen und Soldaten, und dazu natürlich auch entsprechend das Material«, sagte die SPD-Politikerin bereits am Dienstagabend.

An der Ostflanke sollen nach dem am Mittwoch beschlossenen Konzept die existierenden multinationalen Nato-Gefechtsverbände auf Brigade-Niveau ausgebaut werden. Derzeit umfasst beispielsweise der Verband in Litauen 1600 Soldaten. Eine Brigade besteht in der Regel aus etwa 3000 bis 5000 Soldaten. Deutschland hat bereits angekündigt, dass es die Kampftruppen-Brigade in Litauen führen will.

Die künftig mehr als 300.000 schnellen Eingreifkräfte sollen in Friedenszeiten in der Regel unter nationalem Kommando stehen, könnten dann aber im Ernstfall vom Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa (Saceur) angefordert werden. Für die Truppen würden zudem feste Zeiten für die Einsatzbereitschaft vorgegeben. Im Gespräch ist, dass manche Einheiten innerhalb von höchstens 10 Tagen verlegebereit sein müssten, andere in 30 oder 50 Tagen. Details für den Ernstfall sollen in neuen regionalen Verteidigungsplänen festgelegt werden, die nächstes Jahr fertig sein sollen.

USA bauen Truppenpräsenz in Europa aus

Parallel bauen die USA ihre Truppenpräsenz in Europa weiter aus. US-Präsident Joe Biden sagte am Mittwoch bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Stoltenberg vor dem Gipfel des Bündnisses in Madrid: »Gemeinsam mit unseren Verbündeten werden wir dafür sorgen, dass die Nato in der Lage ist, Bedrohungen aus allen Richtungen und in allen Bereichen - zu Lande, in der Luft und auf See - zu begegnen.« Ein Schwerpunkt der US-Truppenverstärkungen ist nach Bidens Angaben die Ostflanke der Nato.

Das Weiße Haus kündigte an, dass in Polen »die ersten permanenten US-Truppen an der Ostflanke der Nato« stationiert würden - bislang sind sie dort auf Rotationsbasis. In Polen soll demnach unter anderem dauerhaft ein Hauptquartier des fünften US-Korps eingerichtet und ein Feldunterstützungsbataillon eingesetzt werden. Weiter hieß es, in Rumänien und in den baltischen Staaten würden die rotierenden US-Truppen verstärkt. Zwei zusätzliche Geschwader mit F-35-Kampfjets würden nach Großbritannien entsandt.

Das Weiße Haus teilte weiter mit, in Deutschland und Italien würden zusätzliche Kräfte zur Luftverteidigung stationiert - in die Bundesrepublik werden demnach rund 625 zusätzliche Soldaten entsandt. In Spanien werde die Zahl der US-Zerstörer von vier auf sechs erhöht. Diesen Schritt hatte Biden schon am Dienstag nach seiner Ankunft in Madrid verkündet. In den vergangenen Monaten haben die USA die Zahl ihrer Soldaten in Europa um rund 20.000 auf mehr als 100.000 erhöht.

Polens Präsident Andrzej Duda reagierte positiv auf die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, erstmals an der Ostflanke der Nato permanent US-Truppen zu stationieren. »Das ist eine Nachricht, auf die wir seit langem gewartet haben«, sagte Duda am Rande des Nato-Gipfels. Für Polen sei dies eine starke Sicherheitsgarantie in der schwierigen aktuellen Situation, so Duda mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Moskau kündigt Reaktion an

Russland drohte nach der US-Ankündigung mit »Ausgleichsmaßnahmen«. Moskau habe Washington im vergangenen Jahr Gespräche über gegenseitige Sicherheitsgarantien angeboten, um ein Eskalationsszenario zu vermeiden, sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow der Agentur Interfax zufolge. Diese Chance hätten die USA verpasst, meinte er. »Jetzt führt das, was gerade passiert, ganz sicher zu Ausgleichsmaßnahmen von unserer Seite.« Details nannte er nicht. Moskau hat in den vergangenen Wochen allerdings schon mehrfach erklärt, seine westlichen Außengrenzen stärken zu wollen.

Die Staatssekretärin für Internationale Sicherheitsfragen im US-Verteidigungsministerium, Celeste Wallander, sagte in Madrid, aus Sicht der USA stehe die permanente Stationierung von US-Truppen in Polen im Einklang mit der Nato-Russland-Grundakte von 1997. Sie verwies darauf, dass es sich nicht um Kampftruppen handele. In der Grundakte hatte sich die Nato auch verpflichtet, auf die dauerhafte Stationierung »substanzieller Kampftruppen« im östlichen Bündnisgebiet zu verzichten. Die permanente Stationierung von US-Truppen könnte die Spannungen mit Russland weiter verstärken.

Wallander betonte: »Die Länder an der Ostflanke sind mit einer erhöhten Bedrohung durch eine russische Führung konfrontiert, die sich bereit und in der Lage gezeigt hat, militärische Angriffe auf angrenzende Länder zu starten.« Auf Nachfrage machte sie keine Angaben dazu, wie viele US-Soldaten insgesamt im Rahmen des Truppenausbaus zusätzlich nach Europa entsandt würden.

© dpa-infocom, dpa:220628-99-838373/18