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Nach Erdogan-Sieg - Opposition fürchtet Zukunft

Der wiedergewählte türkische Präsident Erdogan verspricht, dass mit ihm niemand im Land verliert - und schießt sich gleichzeitig auf seine Gegner ein. Die Opposition fürchtet bereits jetzt die Zukunft.

Recep Tayyip Erdogan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bleibt weitere fünf Jahre im Amt. Foto: Mustafa Kaya
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bleibt weitere fünf Jahre im Amt.
Foto: Mustafa Kaya

Am Tag nach der Wiederwahl von Recep Tayyip Erdogan zum Präsidenten haben die türkische Opposition und Experten vor möglichen Konsequenzen einer erneuten Amtszeit des Staatschefs gewarnt.

»Erdogan hetzt bereits in seinen ersten Reden gegen LGBT und missbraucht sie damit grausam als Spielball für seine menschenfeindliche Propaganda«, sagte der Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Max Lucks (Grüne) der Deutschen Presse-Agentur. Queere Organisationen im Land hatten bereits vor der Wahl Aufrufe gegen Erdogan gestartet.

Erdogan hat am Sonntagabend die Stichwahl gegen den Oppositionskandidaten der Partei CHP, Kemal Kilicdaroglu, gewonnen und hetzte wenig später: »Meine Brüder, ist diese CHP denn nicht für die LGBT?« In seinem eigenen Wahlbündnis gebe es so etwas nicht, so Erdogan. Er erhielt dafür laute Zustimmung aus dem Publikum.

Rapper Ezhel: »Ich habe genug von meinem Land«

Besonders unter jungen Oppositionellen dürfte der erneute Wahlsieg des konservativ-islamischen Politikers die Frustration befeuern. Erdogan übt seit Jahren starken Druck auf die Kreativbranche aus. Der in Deutschland lebende türkische Rapper Ezhel schrieb etwa auf Instagram, er wolle vorerst nicht in die Türkei zurückkehren. »Ich habe genug von meinem Land. Auch wenn ich mein Leben lang nicht kommen kann, werdet ihr immer in meinen Gedanken und in meinem Herzen sein«, schrieb er an seine Fans gerichtet. Ezhel ist einer der populärsten Rapper der Türkei und bekannt für regierungskritische Texte.

Internationale Partner beglückwünschten den neuen alten Staatschef des Nato-Landes zu seinem Sieg. Aus Israel, an das sich die Türkei erst kürzlich wieder angenähert hat, schrieb Staatspräsident Izchak Herzog: »Ich bin überzeugt, dass wir weiter zusammenarbeiten werden, um die guten Beziehungen zwischen der Türkei und Israel zu stärken und auszubauen.« Auch aus der EU und den USA kamen Glückwünsche, obwohl Erdogan mit scharf anti-westlichen Parolen den Wahlkampf geführt hatte. Unter anderem warf er ausländischen Medien Sturzversuche gegen ihn vor.

Die Türkei ist ein wichtiger Partner der EU etwa wegen des Flüchtlingsabkommens. Die Beziehungen sind jedoch chronisch konfliktgeladen. Auch das Verhältnis zu Deutschland ist von häufigen Spannungen geprägt. Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte nach dem Wahlsieg Erdogans am Sonntagabend dennoch die Zusammenarbeit Deutschlands mit der Türkei.

Als Verbündeter Russlands und der Ukraine spielt das Land zudem auch im Ukraine-Krieg eine wichtige Rolle. Auch Putin, dem eine gute persönliche Beziehung zu Erdogan nachgesagt wird, gratulierte umgehend, ebenso der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Starke Unterstützung in Deutschland

Zum Wahlsieg Erdogans haben auch die Wähler in Deutschland beigetragen. Eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten stimmte für den Amtsinhaber. Beim Stand von rund 95 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland kam der Amtsinhaber bei dieser Gruppe auf 67,4 Prozent der Stimmen, wie aus Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hervorging. Offizielle Zahlen der Wahlbehörde zum Ergebnis der Stichwahl in Deutschland lagen zunächst nicht vor.

In der Türkei konnte Erdogan vor allem Stimmen aus Provinzen in Zentralanatolien und der Schwarzmeerregion ziehen. In der Erdbebenregion lag er in fast allen Provinzen vorn. Die bevölkerungsreichsten Provinzen - Istanbul, Ankara und Izmir - gingen jedoch an die Opposition, ebenso der mehrheitlich kurdische Südosten des Landes.

Die Justiz des Landes ist stark politisiert und gilt als nicht unabhängig. Experten nannten die Wahlen auch darum unfair. Gegen viele politische Gegner laufen Verfahren, wie etwa den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu, dem Gefängnis und ein Politikverbot drohen.

Der prokurdischen HDP droht ein Verbot, ihr ehemaliger Chef Selahattin Demirtas sitzt bereits im Gefängnis. Gegen ihn schoss der wiedergewählte Präsident gleich am Sonntagabend: Demirtas sei ein Terrorist, den er niemals freilassen werde. Die vor ihm versammelte Menge forderte daraufhin die Todesstrafe für den ehemaligen HDP-Chef. Laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sitzt Demirtas zu Unrecht in Haft.

Die Opposition fürchtet zudem eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage wie etwa steigende Preise und eine steigende Inflation. Erdogans Politik gilt als unorthodox, da er auf den massiven Anstieg der Inflation nur mit mäßigen Zinsanhebungen reagierte. Die türkische Landeswährung Lira gab am Montag nach und näherte sich dem Rekordtief aus der vergangenen Woche.

© dpa-infocom, dpa:230529-99-867067/4