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Nach Draghi-Rücktritt: Italien muss neu wählen

Nach dem Rücktritt von Italiens Ministerpräsident Mario Draghi musste Staatschef Sergio Mattarella entscheiden, wie es in Italiens Politik weitergeht. Er hatte mehrere Optionen. Jetzt ist die Marschrichtung klar.

Sergio Mattarella
Der Präsident von Italien: Sergio Mattarella. Foto: Str
Der Präsident von Italien: Sergio Mattarella.
Foto: Str

Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella hat nach dem Rücktritt von Regierungschef Mario Draghi die Auflösung der beiden Parlamentskammern verfügt. Er habe ein entsprechendes Dekret unterschrieben, sagte Mattarella in Rom.

Damit ist klar: Italien wird früher als geplant ein neues Parlament wählen. Die Abstimmung soll nun am 25. September stattfinden. Eigentlich hätten die Wahlen erst im Frühjahr 2023 angestanden. »Das Auflösen der Parlamentskammer ist immer die letzte Wahl«, sagte Mattarella. Die politische Situation habe zu dieser Entscheidung geführt.

Umfragen: Rechtsextreme Fratelli d'Italia derzeit vorne

Auf die Menschen in Italien kommen daher mitten in der Ferienzeit wohl unruhige Wahlkampfwochen zu. Draghis Regierung wird so lange im Amt bleiben, bis es einen neuen Ministerpräsidenten geben wird. Wann das sein wird, ist unklar. Die Koalitionsverhandlungen könnten sich je nach Wahlausgang hinziehen. Experten zufolge könnte es möglicherweise erst im November eine neue Regierung geben.

Jüngsten Umfragen zufolge lägen die rechtsextremen Fratelli d'Italia unter Parteichefin Giorgia Meloni derzeit vorne. Zusammen mit den großen Mitte-Rechts-Parteien Forza Italia von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi und der rechten Lega von Matteo Salvini könnten sie unter Umständen im Parlament die Mehrheit stellen. Unter anderem für die Migrationspolitik und auch die Beziehungen zur EU wäre eine solche Regierung wohl problematisch.

Parteien beschuldigen sich gegenseitig

Der Schritt Mattarellas hatte sich kurz zuvor bereits mit der Einbestellung der beiden Parlamentspräsidenten Maria Elisabetta Casellati (Senat) und Robert Fico (Abgeordnetenkammer) angekündigt, da er sie auf Grundlage des Artikels 88 der Verfassung einberief, in dem es um die Auflösung der beiden Kammern geht. Zuvor bot Draghi dem 80 Jahre alten Sizilianer Mattarella seinen Rücktritt an.

Für Draghi ist klar, dass seine Regierung vor dem Ende steht. Drei seiner Regierungsparteien sprachen ihm am Mittwoch im Senat nicht das Vertrauen aus und nahmen nicht an dem Votum teil. Der 74-jährige Römer verfehlte damit sein gefordertes Ziel einer breiten Parlamentsmehrheit - obwohl er das Vertrauensvotum eigentlich gewann. Bereits eine Woche zuvor wollte er schon zurücktreten, als die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung ihm ebenfalls im Senat nicht das Vertrauen aussprach. Damals lehnte Mattarella dies jedoch noch ab und schickte Draghi zum Berichterstatten ins Parlament - es war quasi der Versuch, seine Regierung doch noch am Leben zu erhalten.

Das politische Rom ist seither zerstritten, die Parteien beschuldigen sich gegenseitig, Schuld am Fall von Draghis Kabinett und der Eskalation der Regierungskrise gewesen zu sein. Politisch dürfte es für Draghi jetzt noch schwieriger werden, wichtige von der EU vorgegebene Reformen, die eigentlich anstünden, im Parlament durchzusetzen. Das Land muss diese umsetzen, um die milliardenschweren Corona-Wiederaufbau-Gelder aus Brüssel zu bekommen.

Draghi, der frühere Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), der seit Februar 2021 Regierungschef war, galt auch im Ausland als Stabilitätsgarant für das sonst mitunter turbulent regierte Italien. Er machte das Land mit fast 60 Millionen Einwohnern wieder auf der internationalen Bühne sichtbar, reiste etwa mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Kiew. Ökonomisch steht für Italien damit einiges auf dem Spiel. Die Märkte reagierten am Donnerstag bereits negativ. Die Mailänder Börse fiel zwischenzeitlich deutlich ins Minus und schloss rot. Der Risikoaufschlag (Spread) für zehnjährige italienische Staatsanleihen im Verhältnis zu deutschen Staatsanleihen stieg deutlich nach oben.

© dpa-infocom, dpa:220721-99-99400/15