Er verbarg sein Gesicht nicht und zeigte den erhobenen Zeigefinger, die Geste der radikalen Islamisten: Ein 27-jähriger Syrer muss sich seit Montag in Düsseldorf vor dem Oberlandesgericht für zwei Bluttaten in Duisburg wegen Mordes und dreifachen Mordversuchs verantworten.
Beim Eintritt der Richter blieb er jedes Mal demonstrativ sitzen. Sein Auftritt rief bei Zuschauern und Angehörigen im Gerichtssaal am Montag Empörung hervor. »Mörder« und »Hurensohn« zischte es aus den Zuschauerreihen, verbunden mit der Androhung von Lynchjustiz.
»Dieser Teufel, diese Bestie«, rief der Vater des ermordeten 35-jährigen Irfan später vor dem Hochsicherheitsgebäude. »Niemand sollte sein Kind auf diese Weise verlieren. Ich hoffe auf Gerechtigkeit.« Sein Sohn sei auch Moslem gewesen und Steuerzahler noch dazu, bevor er diesem »selbstgerechten Teufel« zum Opfer gefallen sei.
»Soldat« der IS
Die Bundesanwaltschaft geht von einem islamistischen Motiv der Messerangriffe in einem Fitnessstudio und auf offener Straße im April in Duisburg aus. Der Syrer auf der Anklagebank habe sich als »Soldat« der Terrorgruppe »Islamischer Staat« gesehen.
Es sei ihm darum gegangen, möglichst viele »Ungläubige« zu töten. Das seien für ihn alle gewesen, die in der westlichen freiheitlichen Gesellschaft und nicht nach der Scharia lebten. Er war 2016 nach Deutschland gekommen, hatte einen Asylantrag gestellt und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.
Im Umkleide- und Duschbereich der Filiale einer bekannten Fitnessstudio-Kette soll der Syrer am 18. April nacheinander drei männlichen Studiobesuchern zum Teil mehrfach ein Messer in den Oberkörper gerammt haben.
Erst wütete er in der Umkleide, dann in der Dusche. Einen Helfer, der hinzueilte, um die Blutung eines der Schwerverletzten mit einem Handtuch zu stoppen, soll er noch von hinten angegriffen und ihm zwei Mal in den Oberschenkel gestochen haben, bevor er aus dem Studio türmen und verschwinden konnte.
Einer der Verletzten sei nach dem Mordversuch »dem Siechtum verfallen«. Andere büßten durch die Stiche mit 21 Zentimeter langer Messerklinge Organe ein.
Spurenanalyse führte zu einem Mordverdacht
Die Sicherheitsbehörden lösten Großalarm aus. Der Tatort lag nur eine Straße vom Duisburger Rathaus entfernt. Spezialkräfte mit Maschinenpistolen riegelten das Fitnessstudio ab. Der Messerstecher konnte dennoch verschwinden, wurde aber Ermittlern zufolge von mehreren Überwachungskameras gefilmt: von einem Restaurant, einem Bekleidungsgeschäft und einer Straßenbahnhaltestelle in der Nähe des Tatortes.
Die Spurenanalyse brachte dann die Fitnessstudio-Attacke mit einem Mord in der Duisburger Altstadt neun Tage zuvor zusammen. Durch eine DNA-Spur an einem Schuh geriet der Syrer zusätzlich als mutmaßlicher Mörder des 35-Jährigen Irfan unter Verdacht, der an Ostern mit 28 Messerstichen getötet worden war. An dem Schuh des Angeklagten wurden sowohl DNA-Spuren des getöteten 35-Jährigen, als auch von einem der Opfer aus dem Fitnessstudio gefunden.
Von Stichen in schneller Folge berichtet Jochen Weingarten, Vertreter der Bundesanwaltschaft im Fall der ersten Tat am 9. April: in Hals, Nacken und Bauch »bis zum Austritt von Organen«. Nach beiden Bluttaten waren die Ermittler zunächst nicht von islamistischem Terror ausgegangen.
Als zwei Bekannte des Syrers ihn »100-prozentig« auf Aufnahmen aus Überwachungskameras wiedererkannten und sich bei der Polizei meldeten, konnte eine Spezialeinheit den Mann in seiner Wohnung unweit der Tatorte festnehmen.
Aussagebereit - oder doch nicht?
Erst bei der Sichtung seines Mobiltelefons und der Durchsuchung der Wohnung wurden den Ermittlern klar, was hinter dem scheinbar sinnlos anmutenden Blutrausch gesteckt haben dürfte.
Der Angeklagte bestätigte am Montag seine Personalien und schloss eine Einlassung zu den Tatvorwürfen am nächsten Verhandlungstag nicht aus, wenn denn noch ein weiterer Tag geplant sei. Die Frage erstaune ihn, es seien noch 17 weitere Verhandlungstage geplant, antwortete ihm der Vorsitzende Richter Jan van Lessen.
Der Duisburger Verteidiger des Syrers wollte dessen vermeintliche plötzliche Aussagebereitschaft im Anschluss an den Prozessauftakt weder bestätigen noch dementieren. Bislang hat sein Mandant zu den Vorwürfen geschwiegen.
Beweise, die den Angeklagten als Mitglied des IS ausweisen, oder einen Auftrag, die Taten zu begehen, haben die Ermittler nicht finden können. Der IS hatte sich auch nicht zu den Mordanschlägen bekannt.
Demnach würde es sich bei ihm um einen sogenannten Einsamen Wolf handeln, der sich über das Internet radikalisiert und auf eigene Faust zur Tat geschritten sein soll. Geheimdienste und Staatsschützer warnen seit Jahren vor diesem Typ Attentäter, weil ihm rechtzeitig kaum beizukommen ist.
Aufgefallen war der Syrer zuvor nur in zwei Fällen wegen kleinerer Vermögensdelikte. Beide Verfahren waren eingestellt worden.
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