Mit der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns am 1. Oktober können sich Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland auf höhere Einkommen einstellen.
Der Bundestag beschloss die Gesetzesvorlage von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Freitag in Berlin mit den Stimmen der Koalition und der Linken. Die Unionsabgeordneten und die AfD enthielten sich. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 9,82 Euro brutto. Zum 1. Juli steigt er turnusmäßig auf 10,45 Euro, zum 1. Oktober dann auf 12 Euro. Zugleich steigt die Grenze für Minijobs im Oktober von 450 auf 520 Euro.
Der Gesetzentwurf geht von heute etwa 6,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einem Stundenlohn unter 12 Euro aus. Später soll für die Festsetzung der Lohnuntergrenze wieder die Mindestlohnkommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zuständig sein. Mehr als 12 Euro soll es dann voraussichtlich zum 1. Januar 2024 geben.
Frauen sowie Menschen in Ostdeutschland profitierten überproportional von der Anhebung, wie Heil in der Debatte sagte. Für viele sei die Lohnerhöhung wohl der größte Lohnsprung in ihrem Leben. Heil sagte, ohne Olaf Scholz als Kanzler würde der Mindestlohn nicht erhöht. Der SPD-Politiker hatte die Anhebung der Lohnuntergrenze zu einem Kernversprechen des Bundestagswahlkampfs gemacht.
Große Sorgen wegen der Inflation:
Mehrere Rednerinnen und Redner warnten davor, dass die gegenwärtige Preisexplosion viele Menschen existenziell bedrohe. Die Linken-Haushaltsexpertin Gesine Lötzsch sagte: »Eigentlich müssten es jetzt schon 13 Euro sein.« Nötig sei ein weiteres Entlastungspaket. Heil verwies auf die Entlastungen für Menschen mit normalem und geringem Einkommen, die die Koalition auf den Weg bringe. Der Grünen-Sozialexperte Andreas Audretsch sagte, Menschen in Vollzeit dürften am Ende des Tages nicht von Armut bedroht sein. Die Mindestlohnsteigerung erhöhe zudem die Kaufkraft.
Der CDU-Sozialexperte Hermann Gröhe warf der Koalition chaotisches Stimmengewirr vor, wenn es darum gehe, die enormen Preissteigerungen einzudämmen. Wenn weitere Preissprünge zugelassen würden, nütze auch ein höherer Mindestlohn wenig. Die Nichtzustimmung der Union begründete Gröhe damit, dass sie die Hand nicht für die »Entmündigung der Sozialpartner« reichen wolle.
Die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt räumte ein: »Viele müssen sich die Frage stellen, ob das Geld noch für Obst, die Reise zur Oma, den Schulausflug reicht.« Die Koalition werde die Inflation weiter bekämpfen. Zudem warb Schmidt für das »soziale Klimageld«, eine geplante Einmalzahlung pro Jahr, die Heil für 2023 angekündigt hatte. Die Mindestlohnerhöhung nannte Schmidt einen »Akt der Notwehr gegen sinkende Tarifbindung«.
Weitere Argumente aus der Bundestagsdebatte:
Der AfD-Abgeordnete Norbert Kleinwächter sagte, dass viele ausländische Arbeitskräfte in Deutschland die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt beförderten und das Lohnniveau drückten. »Ein gesunder Markt bräuchte keinen Mindestlohn, er hat nämlich Regeln, und er hat Grenzen.«
Der FDP-Sozialexperte Pascal Kober lobte die Anhebung der Minijobgrenze. Minijobberinnen und -jobber würden helfen, wenn es etwa um volle Regale im Supermarkt zu jeder Tageszeit oder Bedienung im Restaurant noch am Abend gehe. Mit der Erhöhung der Minijobgrenze werde zudem dem Fachkräftemangel in kleinem Umfang etwas entgegengesetzt.
Was die Arbeitgeber sagen:
Der Arbeitgeberverband BDA kritisierte die Erhöhung bereits im Vorfeld. Auch mit einer möglichen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht hatte die BDA gedroht. »Uns geht es nicht um die Höhe des Mindestlohns«, sagte der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger der »Welt« (Freitag). »Die Bundesregierung hält sich nicht an die Absprachen, die wir 2015 vereinbart haben, als mit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Mindestlohnkommission gegründet wurde.« Der Verband lehnt ab, dass der Erhöhungsschritt nun einmalig an der Kommission vorbei gegangen werden soll - und glaubt nicht recht, dass das ein einmaliger Schritt bleiben soll.
Wie die Gewerkschaften die Beschlüsse bewerten:
»Wir begrüßen diesen Schritt des Gesetzgebers außerordentlich, denn der Mindestlohn war bei seiner Einführung im Niveau zu niedrig angesetzt«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Der Mindestlohn war von der damaligen großen Koalition 2015 auf dem Niveau von 8,50 Euro eingeführt worden. »Vor allem Beschäftigten im Gastgewerbe, im Handel und im Gesundheits- und Sozialwesen hilft der höhere Mindestlohn«, so Körzell. Seine Vorstandskollegin Anja Piel kritisierte zugleich die Ausweitung bei den Minijobs: »Gerade für diejenigen, die in ihrer Erwerbsbiografie nahezu ausschließlich im Minijob arbeiten, ist das ein sicheres Ticket in die Altersarmut.«
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