Die Bundesregierung ist überzeugt, dass sie mit ihren angekündigten Reformen in der Migrationspolitik mehr Geflüchtete in Arbeit bringen und Abschiebungen erleichtern kann. Einige der vorgestellten Maßnahmen stießen allerdings bei Aktivisten und Fachpolitikerin auf Skepsis bis hin zur Ablehnung.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte in Berlin, es gebe bei der Steuerung der Asylzuwanderung nicht die eine Patentlösung. Die Regierung setze deshalb auf mehrere Maßnahmen gleichzeitig - von verstärkten Kontrollen im Grenzgebiet über die Einstufung von Moldau und Georgien als sichere Herkunftsländer bis hin zu den nun beschlossenen Maßnahmen zur Erleichterung von Abschiebungen.
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle sagte: »Daneben sollten Sachleistungen und Bezahlkarten deutschlandweit der Regelfall werden, denn die deutschen Sozialleistungen sorgen im europaweiten Vergleich für eine zu große Attraktivität.« Hier könnten die Ministerpräsidenten aktiv werden und dies gemeinsam mit ihren Kommunen umsetzen.
Die Ministerpräsidenten versammelten sich in Frankfurt am Main, um bis Freitag über Asylfragen und die künftige Finanzierung des 49-Euro-Tickets zu beraten.
In den Vorschlägen aus dem Kanzleramt zur Migration, die Scholz mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) besprochen hatte, heißt es: »Der Bund begrüßt es ausdrücklich, wenn Länder und Kommunen von den im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen, Leistungen an Asylsuchende als Sachleistungen statt als Geldleistungen zu erbringen.« Auch Vorschläge aus dem Kreis der Länder, »arbeitsfähigen Geflüchteten spätestens nach ihrer Zuweisung aus der Erstaufnahmeeinrichtung an die Kommunen geeignete Arbeitsgelegenheiten zuzuweisen«, wurden positiv bewertet.
Pro Asyl findet die Pläne größtenteils empörend
Die Flüchtlingsrechtsorganisation Pro Asyl findet die Pläne größtenteils empörend. »Uns fehlen die Worte über diese unredlichen Vorschläge«, sagte ihr flüchtlingspolitischer Sprecher Tareq Alaous. Er frage sich, ob die Bundesregierung ernsthaft glaube, dass Menschen sich lieber den Taliban in Afghanistan auslieferten oder in Syrien ins Gefängnis gingen, »wenn es nun statt Bargeld eine Bezahlkarte gibt«.
In der Union stieß dagegen die Ankündigung auf Unverständnis, den Kreis der Ausreisepflichtigen, die ihren Aufenthaltsstatus durch Arbeit absichern können, zu erweitern. »Das neue Migrationspaket der Ampel ist komplett schizophren«, kritisierte die stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU). »Die Ampel verschärft einerseits Regelungen, um Ausreisepflichtige besser als bislang abschieben zu können. Wohl um die Zustimmung der Grünen zu erkaufen, erleichtert die Koalition andererseits zugleich den Arbeitsmarktzugang für genau diese Gruppe.«
Günther fordert Reduzierung der »Armutsmigration«
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) forderte zwar eine Reduzierung der »Armutsmigration«. Die Vorschläge der Ampel-Regierung beurteilte er aber weniger kritisch. »Wir brauchen bessere Möglichkeiten, auch Rückführungen durchzuführen«, sagte er NDR Info. Auf der anderen Seite müssten die Menschen, die nach Deutschland kämen, bessere Möglichkeiten erhalten, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. »Das heißt, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden«, sagte er. Wenn diese Möglichkeiten geschaffen würden, unterstütze Schleswig-Holstein das.
Seine Rheinland-Pfälzer Kollegin Malu Dreyer (SPD) sieht das genauso. Man könne auch »darüber nachdenken, wenn Menschen länger bei uns sind und sich verweigern der Arbeit, dass man da auch Konsequenzen zieht«, sagte sie in Frankfurt. Vorrangiger als eine Arbeitsverpflichtung sei es aber, die Hürden für die Arbeitsintegration zu beseitigen.
Der Stuttgarter Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) sagte in Frankfurt, die irreguläre Migration müsse stärker begrenzt und eingedämmt werden - und bei der regulären Migration etwa von Fachkräften müsse Deutschland mehr differenzieren und besser werden.
Die Ampel-Regierung plant unter anderem, die Stichtagsregelung für die sogenannte Beschäftigungsduldung zu ändern. Bisher kann diese Möglichkeit nur nutzen, wer vor dem 1. August 2018 in die Bundesrepublik gekommen ist. Künftig sollen alle, die arbeiten und vor dem 31. Dezember 2022 eingereist sind, diese Chance erhalten. Mit dieser neuen Stichtagsregelung würden weitere Abschiebehindernisse aufgebaut, sagte die CSU-Innenpolitikerin Lindholz. »Allen Beteuerungen zum Trotz haben die Spitzen der Ampel den Ernst der Lage offenbar immer noch nicht verstanden.«
Faeser legt Referentenentwurf vor
Faeser hatte zudem einen Referentenentwurf vorgelegt, mit dem verhindert werden soll, dass viele Abschiebungen in letzter Minute scheitern - etwa weil die Betroffenen untergetaucht sind. Bisher müssen Abschiebungen bei Menschen, die trotz Ausreisepflicht bereits länger als ein Jahr geduldet sind, von den Ausländerämtern mit einmonatiger Frist angekündigt werden, falls die Duldung widerrufen wird. Das soll wegfallen - außer bei Familien mit Kindern.
Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) forderte, die Bleibeperspektive der Menschen müsse eine größere Rolle spielen. »Wo wir definitiv besser werden müssen, das ist bei der Differenzierung zwischen Menschen mit und ohne Bleibeperspektive«, sagte er NDR Info. Wichtig sei zudem, dass die laufenden Beratungen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems erfolgreich abgeschlossen würden, »mit einer Sicherung der Außengrenzen und auch schon einer Differenzierung nach Chance auf Bleiberecht oder eben nicht an der Grenze«.
Zwischen Anfang Januar und Ende September haben in Deutschland 233.744 Menschen erstmals einen Asylantrag gestellt, rund 73 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
© dpa-infocom, dpa:231012-99-534062/4