Auch nach der Kiew-Reise von Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) bleibt ungewiss, ob und wann sich die Bundesregierung in der ukrainischen Hauptstadt blicken lassen wird.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigte am Mittwoch nach der Kabinettsklausur in Meseberg bei Berlin, dass er die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im April weiter als Hindernis sieht - und zwar für die gesamte Regierung.
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte er: »Ich glaube, ich kann für uns alle drei sagen, dass es für die deutsche Regierung - auch für das deutsche Volk - ein Problem ist, dass der Bundespräsident gebeten wurde, nicht zu kommen.« Darüber werde man sich nun Gedanken machen müssen. Scholz betonte, dass er dabei die Ukraine am Zug sieht. Das sei eine Angelegenheit, »wo die Ukraine auch ihren Beitrag« leisten müsse.
Merz: »Diese Gespräche können Sie nicht am Telefon machen«
CDU-Chef Friedrich Merz hatte am Dienstag als erster deutscher Spitzenpolitiker seit Kriegsbeginn Kiew besucht und war sogar von Präsident Wolodymyr Selenskyj empfangen worden. Anschließend empfahl er dem Kanzler, auch nach Kiew zu reisen. Er habe den Präsidenten, den Ministerpräsidenten, den Parlamentspräsidenten, Oppositionsführer und Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko getroffen, sagte der CDU-Chef im ZDF. »Diese Gespräche können Sie nicht am Telefon machen. Die können Sie auch nicht mit Videokonferenzen machen. Sie müssen diese Gespräche persönlich führen.«
Auf die Frage, ob seine Gesprächspartner in der Ukraine sich gewundert hätten, dass zuerst der Oppositionschef nach Kiew kommt, sagte Merz: »Ja, das kann man so sagen.« Der Oppositionsführer im Bundestag kündigte an, Scholz über seine Gespräche zu informieren. »Ich kann durchaus einiges sagen, auch zu den zukünftigen Beziehungen mit der Ukraine, zu dem, was wir tun können.« Neben den Waffenlieferungen müsse es unter anderem auch um den Wiederaufbau und die Perspektive für einen EU-Beitritt der Ukraine gehen.
Scholz sagte am Mittwochabend zur Frage, ob ihn Merz bereits über die Inhalte seiner Treffen informiert habe, man sei zum Gespräch miteinander verabredet.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland begab sich Merz gleich zu einer Veranstaltung im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen und erneuerte seine Kritik an Scholz: »Wenn man einem Volk helfen will, muss man auch mal da sein und einen persönlichen Besuch machen«, sagte der CDU-Chef in Bad Salzuflen. Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) stellte Merz ein gutes Zeugnis aus. Was hindere den Bundeskanzler daran, »genauso klar die Führung« zu übernehmen, fragte Merz vor mehreren hundert Zuhörern. Mit Blick auf die Ukraine sagte er: »Dieses Land braucht Waffen, um sich zu verteidigen. Beten allein hilft da nicht.«
Zahlreiche Staats- und Regierungschefs besuchten Kiew
Auch zahlreiche EU-Staats- und Regierungschefs waren bereits in Kiew. Steinmeier wollte im April zusammen mit den Staatschefs von Polen und den drei baltischen Ländern nach Kiew, erhielt aber wenige Stunden vor der Abreise eine Absage. Er steht in der Ukraine wegen seiner Russland-Politik während der vergangenen mehr als 20 Jahre als Kanzleramtschef von Gerhard Schröder (SPD), als Außenminister unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und auch wegen einiger Äußerungen als Bundespräsident in der Kritik.
Scholz hatte bereits am Montag gesagt, dass das für ihn ein Hinderungsgrund sei. Außenministerin Baerbock hatte dagegen am Sonntag angekündigt, dass sie trotz der Absage in die Ukraine reisen wolle. Am Mittwoch äußerte sie sich etwas zurückhaltender. Die Ausladung Steinmeiers habe die Reiseplanung erschwert, sagte sie. Mit Blick darauf müsse man »alles etwas umorganisieren« und schauen, »was wie am meisten Sinn macht«. Sie betonte: »Solche Reisen werden genau vorbereitet, aber es sind ja keine Tourismusreisen.«
Vizekanzler Habeck hatte bereits am Dienstagabend Verständnis für Merz' Besuch in Kiew gezeigt: »Wär' ich in der Opposition, ich wär' auch in die Ukraine gereist«, sagte er. Er geht davon aus, dass in absehbarer Zeit auch ein Mitglied der Bundesregierung in die Ukraine fahren wird. »Da wird es (...) auch eine Lösung geben. Wir reden ja dauernd miteinander.«
Steinmeier will mit Selenskyj sprechen
Ein Ausweg aus der festgefahrenen Situation könnte ein klärendes Gespräch zwischen Steinmeier und Selenskyj sein, um Irritationen und Verstimmungen auszuräumen. Steinmeier zeigte sich dazu während einer Rumänien-Reise bereit. »Wir Deutsche unterstützen die Ukraine aus vollem Herzen«, sagte er in Bukarest. Diese Unterstützung bringe er bei Besuchen wie in Rumänien zum Ausdruck - »und natürlich auch im Austausch mit meinem ukrainischen Amtskollegen, wenn das möglich ist«.
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