Bundeskanzler Olaf Scholz will erreichen, dass weniger Menschen vor Erreichen der Regelaltersgrenze in Rente gehen. »Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können. Das fällt vielen heute schwer«, sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe und der französischen Zeitung »Ouest-France« (Sonntag).
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) hatte am Samstag Zahlen vorgelegt, wonach die Menschen in Deutschland immer häufiger früh in Rente gehen. Viele scheiden demnach bereits mit 63 oder 64 Jahren aus dem Arbeitsmarkt aus - und damit deutlich vor der Regelaltersgrenze. Der noch Anfang des Jahrtausends beobachtete rasante Anstieg der Erwerbstätigenquote bei den über 60-Jährigen sei in den vergangenen fünf Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen, teilte das Institut in Wiesbaden mit.
Eine Ursache dafür sei die »Rente mit 63«, also die seit 2014 bestehende Möglichkeit eines frühzeitigen Rentenbezugs ohne Abschläge für Menschen, die 45 Versicherungsjahre aufweisen können. Im damaligen Gesetzgebungsverfahren war von 200.000 bis 240.000 dieser Rentenanträge pro Jahr ausgegangen worden. Im vergangenen Jahr nutzten nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung vom November fast 270 000 Neurentner den abschlagsfreien Weg. Das waren 26,3 Prozent aller neuen Renten.
Abschläge kein Hindernis
Zudem gehen dem BiB zufolge vermehrt Menschen vor der Regelaltersgrenze in den Ruhestand und nehmen dafür Abschläge bei der Rentenhöhe in Kauf. Diese Gruppe mache unter allen, die 2021 erstmals eine Altersrente bezogen, etwa ein Viertel aus. Im Schnitt gingen sie knapp 28 Monate vor der Regelaltersgrenze in den Ruhestand.
Zwischen 2000 und 2015 hatte sich die Erwerbstätigenquote bei den 60- bis 64-jährigen Männern mehr als verdoppelt, konstatiert das Institut. Bei Frauen im gleichen Alter gab es sogar eine Vervierfachung. Dieser Trend wurde den Angaben zufolge von den zwischen 1940 und 1950 geborenen Menschen bestimmt. Derzeit gehen hingegen die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er Jahre in den Ruhestand. Der vorzeitige Austritt aus dem Erwerbsleben verstärke den Mangel an erfahrenen und qualifizierten Arbeitskräften, schreibt das BiB weiter.
Was kommt nach der Babyboomer-Generation?
Noch offen ist den Experten zufolge die Entwicklung bei den jüngeren, nach 1960 geborenen »Babyboomern«, die auf den Renteneintritt zugehen. Zum einen stiegen die Altersgrenzen auch für langjährig Versicherte an. Zum anderen sei schwer einzuschätzen, in welchem Umfang sie Abschläge für einen vorgezogenen Ruhestand in Kauf nehmen. In Deutschland erhöht sich bis 2029 das Alter für den Beginn der Rente schrittweise von 65 auf 67 Jahre. Für jene, die 1964 aufwärts geboren wurden, gilt künftig eine Regelaltersgrenze von 67 Jahren.
Die Zahlen zeigten, dass die Ausweitung der Erwerbstätigkeit in höhere Alter kein Selbstläufer sei, resümierte Elke Loichinger, Forschungsgruppenleiterin am BiB, die Entwicklungen. Um Arbeitskräfte länger im Erwerbsleben zu halten, müssten Anreize deutlich vor dem Eintritt in den Ruhestand erfolgen. »Wenn der Ruhestand erst einmal erfolgt ist, kommen nur wenige ins Erwerbsleben zurück«, betonte Loichinger.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sieht Kanzler Scholz auch »Steigerungspotenzial« beim Anteil von Frauen am Arbeitsmarkt. »Damit das hinhaut, müssen wir aber Ganztagsangebote in Krippen, Kitas und Schulen ausbauen«, sagte er den Zeitungen. Zudem soll erleichterte Zuwanderung für mehr Arbeitskräfte sorgen. »Einiges können wir auffangen, indem wir bessere Startmöglichkeiten für junge Leute schaffen und in die berufliche Aus- und Weiterbildung investieren«, sagte der Kanzler. »Und zusätzlich werden wir auch Einwanderung aus anderen Ländern benötigen, um unseren Wohlstand sichern zu können.«
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