Das ist natürlich der Traum eines jeden Wahlkämpfers. Kaum dass Eike Schmidt auf der Piazzale Michelangelo angekommen ist, dem Aussichtspunkt hoch über Florenz, brandet Applaus auf. Ein freudiger Blick zu den Leuten oben auf der Mauer. Bis der Kandidat fürs Bürgermeisteramt feststellen muss, dass der spontane Beifall jemand anderem gilt: der Sonne, die heute wieder einmal besonders spektakulär hinter den Dächern der toskanischen Hauptstadt versinkt. Bei solch außerirdischer Konkurrenz nimmt von ihm niemand Notiz.
Dabei kann sich Schmidt keineswegs über zu wenig Aufmerksamkeit beklagen. In Florenz kennt ihn praktisch jeder. Für seine acht Jahre als Direktor der Uffizien - mit jährlich fünf Millionen Besuchern eines der wichtigsten Museen der Welt - bekam er viel Lob. Die Bewerbung fürs Rathaus hat ihn nun auch international prominent gemacht. Ein Deutscher als Bürgermeister von Italiens vielleicht schönster Stadt, gewiss einer der meistbesuchten? Selbst die »New York Times« berichtete groß.
Italienische Frau, italienischer Pass
Dass der Kunsthistoriker - geboren in Freiburg, Studium in Heidelberg, Promotion über die Elfenbein-Skulpturen der Medici, einer der großen Herrscherfamilien von Florenz, dann ein paar Jahre in den USA - überhaupt kandidieren darf, verdankt er seiner Frau. Schmidt ist mit der Kunsthistorikerin Roberta Bartoli verheiratet. Seit November besitzt er auch einen italienischen Pass. Ein Parteibuch hat der 56-Jährige in keinem seiner beiden Länder. Bei der Kommunalwahl in der 362.000-Einwohner-Stadt am Wochenende - parallel zur Europawahl - tritt er als »Mann der Mitte« an, mit einer Bürgerliste.
Getragen wird seine Bewerbung jedoch von der rechten Dreier-Koalition, die in Rom seit anderthalb Jahren an der Regierung ist - für einen Mann aus der Kulturszene alles andere als selbstverständlich. Die Leute, mit denen Schmidt in den vergangenen Jahren viel zu tun hatte, kritisieren Ministerpräsidentin Giorgia Meloni besonders hart. Deren Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) hat ihre Ursprünge in der postfaschistischen Bewegung. Auch heute noch machen hochrangige Meloni-Freunde aus ihrer Verehrung für Diktator Benito Mussolini (1883-1945) keinen Hehl. Sie selbst vermeidet es, sich als »Antifaschistin« zu bezeichnen.
Als Kandidat der Rechten in einer linken Stadt
Schmidt nicht. »Als Deutscher schäme ich mich für die Dinge, die die Deutschen in Italien und in ganz Europa getan haben. Deshalb bin ich Antifaschist.« Dann fügt er hinzu, dass auch die Fratelli dem Faschismus »schon lange ganz klar abgeschworen« hätten. Heute seien sie allenfalls eine »postpostpostfaschistische Partei«. Der Kandidat versucht den Spagat: Schmidt will die rechten Wähler nicht verprellen, Florenz wählt traditionell aber eher links. Den letzten christdemokratischen Bürgermeister im Palazzo Vecchio direkt neben den Uffizien, wo einst auch die Medici regierten, gab es vor einem halben Jahrhundert.
Dass er überhaupt eine Chance hat, liegt daran, dass die Linke - wie so oft in Italien - auch in Florenz mit sich selbst im Streit liegt. Der sozialdemokratische Amtsinhaber Dario Nardella darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren, aus den Reihen seiner Partei Partito Democratico (PD) machen sich zwei Frauen Konkurrenz. Insgesamt sind es zehn Bewerber. Schmidts erstes Ziel ist nun, in die Stichwahl zu kommen. Das sollte gelingen. In der letzten Umfrage, die veröffentlicht werden durfte, lag er bei 33 Prozent, die offizielle PD-Kandidatin Sara Funaro (48) um die 40 Prozent.
Viel Lob für acht Jahre in den Uffizien
In Deutschland gibt es nach einer Zählung des Städte- und Gemeindebunds mehr als 80 Bürgermeister namens Schmidt. Aber in Italien wäre er tatsächlich der Erste. Wobei: Auf den Wahlplakaten ist das Eike deutlich größer - auch, weil viele Italiener mit der Aussprache seines Nachnamens Probleme haben. Von Chmied bis Smitt hört man alles. Ansonsten, meint er, bringe der Erstpass weder Vor- noch Nachteile. »Das ist eine Nullrechnung: Manche wählen mich nicht, weil ich Deutscher bin. Andere geben mir die Stimme, weil ich von außen komme.«
Umso mehr stellt er seine Bilanz als Uffizien-Direktor heraus. Die kann sich sehen lassen. Schmidt hat der früher arg verstaubten Heimstätte der Michelangelos und Botticellis eine völlig neue Ordnung verpasst. Als er anfing, hatte das Museum nicht einmal eine Internet-Seite. Mit den Besucherzahlen stiegen auch die Einnahmen: auf 60 Millionen Euro bei 30 Millionen Fixkosten. Da blieb einiges übrig. Trotzdem war, wie üblich, nach zwei Amtszeiten Schluss. Seit Januar leitet Schmidt nun das zweitgrößte Nationalmuseum des Landes, das Capodimonte in Neapel. Für die Zeit des Wahlkampfs ist er beurlaubt.
Absage an Billigtourismus
Das Versprechen ist nun, ebenso wie im Museum in der ganzen Stadt aufzuräumen: bessere Straßen, weg mit dem Drogenhandel, bezahlbare Sozialwohnungen, neue Ideen gegen den Massentourismus. Florenz gehört in Italien zu den Städten, die besonders schwer unter den Besuchermassen leiden. »Hier wurde jahrzehntelang der Billigtourismus gefördert«, sagt er. »Das muss sich ändern.« Falls es mit dem Chefposten im Palazzo Vecchio doch nichts werden sollte, kann er wieder als Museumsdirektor nach Neapel. Die Wohnung in Florenz will er mit seiner Frau jedoch behalten. So oder so.
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