Logo
Aktuell Ausland

Melnyk will als Ex-Botschafter nicht »die Klappe halten«

Er hat Scholz »beleidigte Leberwurst« genannt und Steinmeier »gefährliche Geschichtsverdrehung« vorgeworfen. Melnyk hat die deutsche Politik aufgemischt wie kein anderer Diplomat. Jetzt geht er.

Andrij Melnyk
Der scheidendende Botschafter der Ukraine in Deutschland Andrij Melnyk wird diese Woche Deutschland verlassen. Foto: Christophe Gateau
Der scheidendende Botschafter der Ukraine in Deutschland Andrij Melnyk wird diese Woche Deutschland verlassen.
Foto: Christophe Gateau

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk will sich auch nach seiner Rückkehr nach Kiew mit Wortmeldungen in die deutsche Politik einmischen. Zwar wolle er seinem Nachfolger nicht in die Quere kommen und auch kein Ersatzbotschafter sein, sagte Melnyk vor seiner für Samstag geplanten Abreise der Deutschen Presse-Agentur. »Aber ich kann nicht versprechen, dass ich die Klappe halten werde.« Es könne schon sein, dass er »den einen oder anderen - auch scharfen - Kommentar abgebe, wenn ich sehe, dass etwas schief läuft in Deutschland, wenn es um die Unterstützung meiner Heimat geht«.

Melnyk verlässt Deutschland am Samstag nach fast acht Jahren als Botschafter. In Kiew wird er einen neuen Job im Außenministerium übernehmen. Er ist als Vizeaußenminister im Gespräch, die Regierung hat aber noch nicht abschließend darüber entschieden. »Deswegen bin ich selbst gespannt, was auf mich zukommt. Ich werde wahrscheinlich am Dienstag Präsident Selenskyj sehen. Und er wird mir dann hoffentlich persönlich sagen, wo er mich in seinem großen Team sieht«, sagte Melnyk.

Stolz auf Erfolge bei Waffenlieferungen

Der 47-jährige Melnyk war im Januar 2015 Botschafter in Deutschland geworden und hat sich hier mit einer für einen Diplomaten ungewöhnlich harten Gangart gegen die deutsche Staatsführung einen Namen gemacht. Schon lange vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte sich der Botschafter mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wegen einer Äußerung zu Nord Stream 2 angelegt und ihm »gefährliche Geschichtsverdrehung« vorgeworfen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat er mal als »beleidigte Leberwurst« bezeichnet.

In den ersten Kriegsmonaten wurde Melnyk zu einem der häufigsten Gäste in deutschen Talkshows. Kaum ein Tag verging, an dem er nicht Kampfpanzer und Luftabwehrgeschütze forderte und der Regierung Zögern und Zaudern vorwarf. »Ich glaube, es ist mir gelungen, die Deutschen für das Thema Ukraine zu interessieren, dafür zu sorgen, dass man die Ukraine hier wirklich erkennt und versteht«, verteidigt Melnyk seinen Kurs heute. »Wenn ich jetzt nach Hause komme, erfüllt es mich mit Stolz, dass viele Waffensysteme aus Deutschland geliefert wurden, die uns helfen, die besetzten Gebiete und unsere Landsleute Schritt für Schritt zu befreien.«

Er betonte aber auch, dass noch mehr geliefert werden müsse, »um die Russen zu vertreiben«. Auf seiner Wunschliste stehen nach wie vor Leopard-2-Kampfpanzer und Schützenpanzer Marder, die die Bundesregierung nicht abgeben will.

Zusammen mit der Schwiegermutter mit dem Auto nach Kiew

Melnyk wird am Samstag zusammen mit seiner Schwiegermutter mit dem Auto das Land verlassen. Die beiden werden auf dem Weg nach Kiew in Melnyks Heimatstadt Lwiw einen Zwischenstopp einlegen. Dort wird der scheidende Botschafter seine Mutter zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wiedersehen. Melnyks Frau und seine beiden Kinder (11 und 20) bleiben zunächst in Deutschland. Grund ist vor allem, dass seine Tochter weiter in Deutschland zur Schule gehen soll. Sein Sohn studiert hier.

Der Abschied falle ihm aus vielen Gründen schwer, erzählt Melnyk. »Das war für mich nicht nur ein Traumjob. Unser Sohn hat hier den Schulabschluss gemacht. Unsere Tochter ist hier aufgewachsen, Deutsch ist für sie die zweite Muttersprache.« Die Erfahrungen, die er in Berlin gemacht habe, würden ihn für immer prägen. »Deutschland wird uns nie loslassen.«

Nur Habeck und Schmidt wollten Melnyk persönlich verabschieden

Mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt haben sich zwei Bundesminister persönlich von Melnyk verabschiedet. Außenminister Annalena Baerbock (Grüne), Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Kanzler Scholz (beide SPD) ließen ihn dagegen abblitzen. Bei allen dreien bat Melnyk vergeblich um ein Abschiedsgespräch.

Dem Botschafter ist bewusst, dass sich viele im politischen Berlin auf das Ende seiner Amtszeit freuen. Er hoffe aber, dass die Bundesregierung nach seiner Abreise nicht nur einfach sagt: »Endlich ist dieser Quälgeist weg.« Melnyks Wunsch: Dass die Ampel-Regierung der Ukraine aus eigenem Antrieb hilft, »ohne dass man sie immer wieder unter Druck setzen muss«.

Hass und Moderdrohungen: »Persönlich einen hohen Preis gezahlt«

Vor allem in sozialen Medien ist dem Botschafter viel Hass entgegengeschlagen. »Ich habe persönlich einen hohen Preis gezahlt«, sagt er. Seiner Psyche habe das nicht gutgetan, er habe sogar Morddrohungen bekommen. »Ich glaube, es hat sich trotzdem gelohnt, dieses Risiko einzugehen«, sagt er. Sehr viele Menschen in Deutschland hätten ihn auch unterstützt. »Am Ende zählt das Ergebnis: Die Ukraine bleibt ganz oben auf der Tagesordnung und Deutschland liefert uns schwere Waffen, die für unseren Sieg entscheidend sind.«

Keine Empfehlung für den Nachfolger

Bereits am Montag wird Melnyks Nachfolger in Berlin erwartet, Oleksii Makeiev, der bisherige Beauftragte der ukrainischen Regierung für die Sanktionen gegen Russland. Empfehlungen will Melnyk ihm nicht geben. »Ich wünsche mir, dass er seinen eigenen Weg findet«, sagt er. »Er kann kein zweiter Melnyk sein. Das würden die Deutschen auch nicht wollen. Er muss was anderes erfinden, er muss halt Makeiev sein.«

Melnyk auf Twitter

© dpa-infocom, dpa:221014-99-123648/8