Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nach Ansicht des ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk, eine höchst bedenkliche politische Nähe zu Russland.
»Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht. Auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle«, sagte Melnyk dem »Tagesspiegel«. Aus Sicht des russischen Präsidenten Wladimir Putin gebe es kein ukrainisches Volk, keine Sprache, keine Kultur, und daher auch keinen Staat. »Steinmeier scheint den Gedanken zu teilen, dass die Ukrainer eigentlich kein Subjekt sind«, sagte Melnyk.
Vorwürfe auch an andere deutsche Politiker
Deutschland habe weiter zu viele Eigeninteressen in Bezug auf Russland, etwa die Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle. Schuld daran sei auch Steinmeiers Agieren als Kanzleramtschef und später als Außenminister, sagte Melnyk der Zeitung.
»Steinmeier hat seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft. Darin sind viele Leute verwickelt, die jetzt in der Ampel das Sagen haben«, sagte er - und nannte namentlich den außenpolitischen Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Jens Plötner, und den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Andreas Michaelis. Hinzu kämen viele wichtige Botschafter. »Das alles macht einen Unterschied«, sagte Melnyk.
Konzert in Bellevue »klares Signal Richtung Moskau«
Mit Blick auf ein von ihm boykottiertes Ukraine-Solidaritätskonzert des Bundespräsidenten, bei dem auch russische Musiker auftreten sollten, sagte Melnyk: »Das Konzert war aus meiner Sicht ein klares Signal Richtung Moskau, vielleicht sogar, um Putin zu zeigen: Ich halte hier die Stellung.« Steinmeier wisse, wie sensibel das Thema ist. »Feingefühl ist für Steinmeier ein Fremdwort, zumindest in Bezug auf die Ukraine.«
Angesprochen darauf, dass Steinmeier in seiner Rede zur Wiederwahl als Bundespräsident deutlich wie nie abgerechnet habe mit Putin, meinte Melnyk, das kaufe er ihm nicht ab. »Zu uns Ukrainern hat er keinen Bezug. Steinmeier weiß nicht, was er mit uns anfangen soll, obwohl er selbst in Kyjiw und sogar in Lwiw war.«
© dpa-infocom, dpa:220403-99-774999/2