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Melnyk: »Deutschland wird uns nie loslassen«

Vielen Politikern in Berlin gilt er als Nervensäge. Andere bewundern ihn für seine klare und oft undiplomatische Ansprache der Regierung. Auch nach seiner Rückkehr nach Kiew wird man von ihm hören.

Ex-Botschafter Andrij Melnyk
Andrij Melnyk resümiert über seine Amtszeit als ukrainischer Botschafter in Deutschland. Foto: Michael Kappeler
Andrij Melnyk resümiert über seine Amtszeit als ukrainischer Botschafter in Deutschland.
Foto: Michael Kappeler

Nach fast acht Jahren als ukrainischer Botschafter in Deutschland kehrt Andrij Melnyk nach Kiew zurück. Vor seiner Abreise am Samstag spricht er in einem dpa-Interview über seine Bilanz als Botschafter, über Morddrohungen in sozialen Medien und über seine Zukunftspläne.

Sie waren fast acht Jahre als Botschafter in Berlin. Wie sieht Ihre Bilanz aus, was haben Sie erreicht?

Ich glaube, es ist mir gelungen, die Deutschen für das Thema Ukraine zu interessieren, dafür zu sorgen, dass man die Ukraine hier wirklich erkennt und versteht. Ich bedauere, dass es mir nicht früher - weit vor dem Krieg - gelungen ist, für deutsche Waffenlieferungen zu sorgen. Aber seit dem Kriegsbeginn war das für mich das Thema Nummer eins, dass die Deutschen verstehen, dass auch sie in der Pflicht sind uns militärisch zu unterstützen. Wenn ich jetzt nach Hause komme, erfüllt es mich mit Stolz, dass viele Waffensysteme aus Deutschland geliefert wurden, die uns helfen, die besetzten Gebiete und unsere Landsleute Schritt für Schritt zu befreien. Das bedeutet für mich eine Erleichterung, dass wir Ukrainer die Zeitenwende auch spüren können. Trotzdem - es kann nicht genug Hilfe aus der Bundesrepublik ankommen, um die Russen zu vertreiben.

Was war Ihre größte Enttäuschung und was Ihr schönstes Erlebnis?

Die größte Enttäuschung war, dass die frühere Regierung - die große Koalition - nicht begriffen hat oder nicht begreifen wollte, dass dieser barbarische Krieg verhindert werden konnte. Kanzlerin Merkel hätte präventiv sehr viel machen können, um gegenzusteuern. Das schönste Erlebnis war der Abend vor der Zeitenwende-Rede von Kanzler Scholz am Samstag, dem 26. Februar, als ein Regierungsmitglied mir persönlich mitgeteilt hat, dass Deutschland seine jahrzehntelange Blockadehaltung ablegt und uns endlich Waffen liefert. Das war der große Durchbruch. Da war dann das befreiende Gefühl, dass wir doch nicht alleine gegenüber dem Aggressor Russland sind.

Mit welchen Gefühlen verlassen Sie jetzt Deutschland?

Der Abschied fällt uns schwer - aus vielen Gründen. Weil wir so viel Zeit, so viel Herz investiert haben. Das war für mich nicht nur ein Traumjob. Unser Sohn hat hier den Schulabschluss gemacht. Unsere Tochter ist hier aufgewachsen, Deutsch ist für sie die zweite Muttersprache. Diese Erfahrung prägt für immer. Deutschland wird uns nie loslassen.

Wissen Sie inzwischen, welche neue Aufgabe in Kiew auf Sie zukommt?

Es gibt das Angebot, dass ich Vizeaußenminister werde. Es gibt aber noch keine Entscheidung der Regierung. Deswegen bin ich selbst gespannt, was auf mich zukommt. Ich werde wahrscheinlich am Dienstag Präsident Selenskyj sehen. Und er wird mir dann hoffentlich persönlich sagen, wo er mich in seinem großen Team sieht. Für mich ist nicht der Posten entscheidend, sondern eine neue spannende Aufgabe und das, was ich wirklich erreichen kann. Ich könnte mir auch eine Auszeit vorstellen. Das würde mir nach acht Jahren Knochenjob in Berlin sicher gut tun. Aber ich befürchte, die wird mir nicht gegönnt.

Ihr Nachfolger OleksiiMakeiev kommt nächste Woche nach Berlin. Welche Empfehlungen haben Sie für Ihn?

Ich werde ihm keine Empfehlungen geben. Ich wünsche mir, dass er seinen eigenen Weg findet. Er kann kein zweiter Melnyk sein. Das würden die Deutschen auch nicht wollen. Er muss was anderes erfinden, er muss halt Makeiev sein. Die wohl größte Aufgabe wird für ihn sein, dass die enorme Empathie und die Unterstützung in der deutschen Gesellschaft für die Ukraine nicht verloren geht.

Glauben Sie, dass die Bundesregierung erleichtert ist, wenn Sie am Samstag das Land verlassen?

Ich hoffe, dass die Bundesregierung dann nicht nur aufatmet und sagt: Endlich ist dieser Quälgeist weg. Ich wünsche mir, dass der Kanzler und die Ampel dann auch öfter aus eigenem Antrieb dezidiert handelt, um uns Ukrainern zu helfen, ohne dass man sie immer wieder unter Druck setzen muss.

Ihnen ist in Deutschland auch viel Hass in den sozialen Medien entgegengeschlagen...

Ich habe persönlich einen hohen Preis gezahlt. Ich habe nicht nur in Deutschland viel Hetze und Hasstiraden erlebt, auch zu Hause war nicht allen verständlich, wieso ich auf diese - oft wenig diplomatische - Art und Weise agiert habe. Ich habe so viel Hass erfahren, dass das meiner Psyche sicherlich nicht gut getan hat. Das war auch nicht ungefährlich. Ich habe sogar Morddrohungen bekommen. Ich glaube aber, es hat sich trotzdem gelohnt, dieses Risiko einzugehen. Sehr viele Menschen in Deutschland haben mich auch stark unterstützt. Ich durfte sehr viel Zuspruch erfahren. Am Ende zählt das Ergebnis: Die Ukraine bleibt ganz oben auf der Tagesordnung und Deutschland liefert uns schwere Waffen, die für unseren Sieg entscheidend sind.

Werden Sie von Kiew aus weiter deutsche Politik kommentieren?

Wahrscheinlich ja, aber bestimmt nicht so intensiv wie vorher. Ich will meinem Nachfolger nicht in die Quere kommen, ich will kein Ersatzbotschafter sein. Aber ich kann nicht versprechen, dass ich die Klappe halten werde. Es kann schon sein, dass ich den einen oder anderen - auch scharfen - Kommentar abgebe, wenn ich sehe, dass etwas schief läuft in Deutschland, wenn es um die Unterstützung meiner Heimat geht. Das ist etwas, das ich mir vorbehalte.

ZUR PERSON: Andrij Melnyk hat acht Jahre lang die Interessen seines Landes in Deutschland vertreten. Mit seiner harten Kritik an der Zögerlichkeit der Bundesregierung bei der Unterstützung seines Landes im Krieg gegen die russischen Angreifer hat sich der 47-Jährige in Berlin nicht nur Freunde gemacht. Am Samstag bricht er mit dem Auto Richtung Kiew auf, wo er im Außenministerium einen neuen Posten übernehmen wird. Seine Frau und seine beiden Kinder (11 und 20) bleiben zunächst in Berlin.

© dpa-infocom, dpa:221014-99-125461/2