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Mehrheit in EU gegen Zahlungsstopp für Palästinenser

Stellt die EU ihre Entwicklungshilfezahlungen zugunsten der Palästinenser vorläufig ein oder nicht? Um diese Frage gab es heftige Debatten in Brüssel. Von den Außenministern kommt nun eine klare Ansage.

Josep Borrell
EU-Chefdiplomat Josep Borrell. Foto: Efrem Lukatsky/DPA
EU-Chefdiplomat Josep Borrell.
Foto: Efrem Lukatsky/DPA

Eine überwältigende Mehrheit der EU-Staaten lehnt nach Angaben von EU-Chefdiplomat Josep Borrell ein vorläufiges Einfrieren von Zahlungen an die Palästinensische Autonomiebehörde ab. Es gebe lediglich zwei oder drei Länder, die dies anders sähen, erklärte Borrell am Dienstagabend nach informellen Beratungen der EU-Außenminister zu dem Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel. Es soll demnach nur eine Überprüfung und vorerst kein Aussetzen von Zahlungen geben.

Die Unterstützung für die Palästinensische Autonomiebehörde einzustellen, wäre das beste Geschenk, das man der Hamas machen könnte, und es würde die Interessen und die Partnerschaft mit der arabischen Welt gefährden, argumentierte Borrell. Auch das palästinensische Volk leide derzeit.

Welche zwei, drei Länder für einen Zahlungsstopp sind, sagte Borrell nicht. Als sicher gilt, dass Ungarn dazu zählt.

Unmut nach Varhelyis Ankündigung

Um die EU-Entwicklungshilfezahlungen für die Palästinenser hatte es vor dem Ministertreffen erhebliche Aufregung gegeben. Der zuständige EU-Kommissar Oliver Varhelyi hatte zunächst am Montag mitgeteilt, alle Zahlungen würden angesichts des Hamas-Angriffs auf Israel sofort ausgesetzt. Ein Sprecher der Behörde hatte dies auch zuerst bestätigt. In einer am Montagabend verbreiteten Pressemitteilung der Brüsseler Behörde hieß es aber dann, da momentan keine Zahlungen vorgesehen seien, werde es vorerst auch nicht zu einer Zahlungsaussetzung kommen. Zuvor hatten nach Angaben aus EU-Kreisen mehrere Hauptstädte gefordert, die Ankündigung zurückzunehmen.

Mit der EU-Hilfe für die Palästinenser werden nach Kommissionsangaben derzeit vor allem die Finanzierung wichtiger Unterstützungsleistungen für die palästinensische Bevölkerung sowie die der Autonomiebehörde gefördert. Als konkrete Beispiele nennt die Behörde den Gesundheitssektor, Sozialhilfeleistungen für arme Familien sowie Entwicklungsprojekte in Bereichen wie demokratische Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Wasser, Energie und wirtschaftliche Entwicklung. Zudem wird auch das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten unterstützt.

Nach Kommissionsangaben von gestern Abend könnten von den bis Ende 2023 für die Palästinenser eingeplanten Mitteln theoretisch noch etwa 400 Millionen Euro eingefroren werden. 463 Millionen Euro wurden demnach seit Anfang der derzeitigen Planungsperiode im Jahr 2021 bereits ausgezahlt.

Deutschland hat Zahlungsstopp angekündigt

Zu den EU-Staaten, die bislang einen vorübergehenden Zahlungsstopp von bilateralen Finanzhilfen für die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gebieten angekündigt haben, zählt Deutschland.

Das Entwicklungsministerium prüft nach dem Großangriff der Hamas auf Israel zudem auch seine Zahlungen an das UN-Hilfswerk für die Palästinenser (UNRWA). »Wir werden bei der Überprüfung aber nach Prioritäten vorgehen und schnell entscheiden, sobald in diesem Bereich Zahlungen notwendig werden. Denn wir wollen nicht riskieren, dass sich die Lage vor Ort für vulnerable Gruppen wie Frauen, Kinder oder Flüchtlinge noch weiter verschlimmert«, sagte ein Sprecher des Ministeriums der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Baerbock: »Natürlich machen wir keine Terrorfinanzierung«

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) versicherte indes, dass mit Hilfsgeldern Deutschlands für die Palästinenser kein Terror finanziert worden sei. »Natürlich machen wir keine Terrorfinanzierung«, sagte Baerbock dem ZDF-»heute journal«. Auf »besonderen Wunsch« Israels werde die gegebene finanzielle Hilfe durch die Bundesregierung und die EU nun abermals überprüft. Doch das bedeute »ganz und gar nicht«, dass es daran Zweifel gebe.

Die Palästinensischen Gebiete hätten nie Budgethilfe vom deutschen Staat erhalten, sondern immer nur Geld im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit, sagte Baerbock. Diese humanitäre Unterstützung solle fortgesetzt werden. »Für die Bundesregierung ist wichtig, dass wir die Lebensmittelhilfe, die Wasserversorgung nicht einstellen, denn das brauchen jetzt die Menschen vor Ort ganz, ganz dringend«, sagte Baerbock.

Die EU-Beratungen wurden am Randes eines internationalen Treffens im Golfstaat Oman organisiert. Ein Teil der Minister nahm persönlich teil, ein anderer per Videoschalte.

Appell: Völkerrecht einhalten

Borrell betonte gestern Abend, dass sich die Minister auch hinter eine Erklärung gestellt hätten, die vor den EU-Beratungen mit Vertretern der sechs Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrats ausgehandelt wurde. In dieser wird angesichts der Entwicklungen in Israel und im Gazastreifen unter anderem zum Schutz von Zivilisten aufgerufen.

Man erinnere an die Verpflichtungen im Rahmen des humanitären Völkerrechts, heißt es in dem Text. Zudem fordere man Zurückhaltung, die Freilassung von Geiseln und den Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten zu gewährleisten. Um zu verhindern, dass sich der Teufelskreis der Gewalt in Zukunft wiederhole, brauche es eine politische Lösung der Krise. Beide Seiten stünden weiter hinter der Idee für eine Zwei-Staaten-Lösung.

Borrell bezog die Mahnung am Abend auch konkret auf Israel und warf der Regierung vor, mit Maßnahmen wie der Unterbrechung der Wasserversorgung, der Stromversorgung und der Nahrungsmittelversorgung für den Gazastreifen gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Auch nach dem barbarischen Angriff der Hamas müsse man sich daran erinnern, dass das Recht auf Verteidigung im Rahmen des Völkerrechts ausgeübt werden müsse, betonte Borrell mit Verweis darauf, dass die Maßnahmen auch eine große Zahl von Zivilisten treffen. »Israel hat das Recht, sich zu verteidigen, aber dies muss im Einklang mit dem (...) humanitären Völkerrecht geschehen.«

© dpa-infocom, dpa:231010-99-517955/6