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Mediziner weiterhin skeptisch gegenüber Kinderimpfungen

In der Debatte um Corona-Impfungen für Kinder läuft manches falsch, findet der Chef der Ständigen Impfkommission. Manche Logik findet er »grenzwertig«, manche thematische Verquickung »einen Irrweg«.

FRANKFURT/HAMBURG. In der Diskussion um die Corona-Impfungen für Kinder zeigen sich Mediziner trotz EMA-Empfehlung weiterhin kritisch. Einige halten die vorhandene Datenlage für zu ungenau.

Der Virologe Klaus Überla, Professor an der Universität
Erlangen und Stiko-Mitglied, hat daher für Zurückhaltung plädiert, bis mehr Wissen über mögliche medizinische Nebenwirkungen herrsche, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

»Natürlich ist es zum Aufbau einer möglichst umfassenden Bevölkerungsimmunität sinnvoll, auch Kinder in das Impfkonzept einzubeziehen«, sagte Überla. Bei gesunden Kindern seien aber die Risiken des Nichtimpfens gering und die Risiken des Impfens nicht ausreichend bekannt.

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, hat um Verständnis für die zögerliche Haltung bei Kinderimpfungen gegen Corona geworben. Zugleich sprach er mahnende Worte in Richtung Politik. »Den Kindern bietet man ja kein Lakritzbonbon an, das ist ein medizinischer Eingriff, und der muss eben entsprechend indiziert sein«, hatte Mertens als Gast des NDR-Podcasts »Das Coronavirus-Update« am Dienstag gesagt.

Die Entscheidung, ob die Stiko empfehle, alle Kinder zwischen zwölf und 16 Jahren gegen das Coronavirus zu impfen, müsse »auf der besten verfügbaren Evidenzbasis getroffen werden«. Die Daten aus der Zulassungsstudie des Herstellers reichten dafür nicht aus: »Die Zahl der in der Studie geimpften Kinder ist einfach zu gering, um eine belastbare Aussage über die Sicherheit in dieser Altersgruppe zu machen.« Immerhin 1,3 Prozent der 1100 in der Studie geimpften Kinder hätten schwere Reaktionen gezeigt.

In der Debatte hat sich auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, gegen eine allgemeine Impfempfehlung ausgesprochen. Man müsse sich »wie bei jeder medizinischen Intervention - auch beim Impfen - überlegen, wie stehen Risiko und Nutzen in welchem Verhältnis«, sagte Reinhardt am Mittwoch im Inforadio des rbb. Er plädierte dafür, die Eltern über die Impfung ihrer Kinder entscheiden zu lassen.

Da junge Menschen überwiegend nur leicht und oberflächlich erkranken oder sogar symptomlos die Infektion durchleben würden, »muss man sich überlegen, ob das ein ausreichender Grund ist, um einen Menschen zu impfen«. Auch mit Blick auf noch unbekannte Nebenwirkungen »sind wir der Auffassung, dass man das individuell im Einzelfall entscheiden sollte«, sagte Reinhardt.

Auch der Kinder- und Jugendmediziner Professor Reinhard Berner vom Uniklinikum Dresden rät zu Zurückhaltung: »Wenn ich in die Waagschale werfe, was wir bisher über die Corona-Impfung in dieser Altersgruppe und die Erkrankung in dieser Altersgruppe wissen, würde ich sagen, dass die Abwägung von Nutzen und Risiko noch nicht für eine allgemeine Impfempfehlung ausreicht.«

Dass Kinder schwer an Covid-19 erkranken, sei »wirklich eine ausgesprochene Rarität«, sagte Stiko-Chef Mertens. Strittig sei nur die Frage, ob es eine generelle Empfehlung gebe. Dass die Stiko empfehlen werde, Kinder mit Vorerkrankungen zu impfen, »daran kann eigentlich kein vernünftiger Zweifel bestehen«.

In der Debatte um die Kinderimpfungen würden viele Argumente »leichthin« ins Feld geführt, kritisierte Mertens. So sei es »nicht besonders sinnvoll«, das Thema Schule mit der Impfdebatte zu verknüpfen. »Die Stiko - und ich glaube auch viele andere vernünftige Leute - halten diese sprachliche Verbindung von Impfung als Voraussetzung für das normale Leben der Kinder für einen Irrweg.«

Auch der Nutzen für die Herdenimmunität sei gering: »Man sollte die Hoffnung auf den epidemiologischen Effekt nicht übertreiben.« So lange der Impfstoff knapp sei, müsse man sich entscheiden, ob man lieber Jugendliche oder Erwachsene impfe. Die Idee einer großen Schulimpfkampagne nannte Mertens »wirklich von der Logik her meines Erachtens grenzwertig«.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will Kinder und Jugendliche auch ohne allgemeine Stiko-Empfehlung in die Impfkampagne einbinden. In deren Rahmen werden die Kosten vom Bund übernommen. Im Fall von Impfschäden besteht laut Bundesgesundheitsministerium auch Anspruch auf Versorgung nach dem sozialen Entschädigungsrecht. Die Stiko gebe nur eine Empfehlung, sagte Spahn. »Im Lichte dieser Empfehlung können dann die Eltern mit ihren Kindern, den Ärztinnen und Ärzten die konkreten Entscheidungen treffen, ob jemand geimpft wird oder nicht.« Dies sei eine individuelle Entscheidung.

Nach einer entsprechenden Empfehlung der Arzneimittelbehörde EMA erteilte die EU-Kommission am Montag offiziell die Zulassung für die Impfung von Kindern ab zwölf Jahren mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer. Die Stiko hat aber bereits mehrfach angedeutet, dass sie möglicherweise keine allgemeine Impfempfehlung für alle Kinder geben will, sondern nur für vorerkrankte Kinder.

Unterdessen ist bald jeder fünfte Deutsche vollständig gegen das Coronavirus immunisiert. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Mittwoch (Stand: 10.10 Uhr) wurden bisher bereits 18,8 Prozent (15,6 Millionen) der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft, 43,9 Prozent (36,5 Millionen) haben mindestens eine Dosis erhalten. Am Dienstag kamen den Zahlen des RKI zufolge 947 198 Impfungen hinzu, davon führten 552 408 zu einer vollständigen Immunisierung. Wie Gesundheitsminister Jens Spahn auf Twitter mitteilte, entsprach die Zahl der am Vortag Geimpften über einen Prozent der Bevölkerung. Insgesamt wurden seit Beginn der Impfkampagne 51,5 Millionen Impfungen gesetzt. (dpa)