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Mediziner fordern Notbremse: »Wir haben fünf nach zwölf«

Ein Abflauen der Corona-Zahlen ist derzeit nicht in Sicht. Doch die Politik ringt weiter um die vom Kabinett beschlossenen bundesweiten Vorgaben. Den Intensivmedizinern dauert das zu lange.

BERLIN. Während die Kritik an der geplanten »Bundes-Notbremse« anhält, fordern Intensivmediziner zur Eindämmung der dritten Corona-Welle schnelles Handeln.

»Wir können es uns nicht leisten, noch wochenlang zu diskutieren«, warnte der wissenschaftliche Leiter des Intensivbettenregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Christian Karagiannidis, im »Tagesspiegel«. Angesicht steigender Corona-Zahlen äußern sich heute Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, in der Bundespressekonferenz.

Der frühere Präsident der Vereinigung, Uwe Janssens, sagte im Fernsehsender Phoenix: »Wir haben fünf nach zwölf, ihr müsst jetzt handeln, es muss jetzt eine Strategie verfolgt werden, die bundesweit einheitlich gilt.« Wären die vor Wochen beschlossenen Maßnahmen flächendeckend umgesetzt worden, hätte man die aktuelle Entwicklung mit einem starken Anstieg der Infektionszahlen noch abschwächen können. Karagiannidis sagte, den Tod seien Intensivmediziner zwar gewohnt - »aber so etwas hat es noch nicht gegeben«.

Das Intensiv-Register verzeichnet täglich die Zahl der verfügbaren Intensivbetten in deutschen Krankenhäusern. Seit Mitte März macht sich das verstärkte Infektionsgeschehen auch auf den Intensivstationen bemerkbar. Die Vereinigung erwartet, dass der bisherige Höchststand von etwa 6000 Covid-19-Intensivpatienten noch im April wieder erreicht wird. Wenn das geplante Bundesgesetz erst Ende April beschlossen werde, werde die Patientenzahl auf 7000 steigen, hatte der jetzige Divi-Präsident Gernot Marx bereits prognostiziert. »Wir reden über sehr viele schwere Erkrankungen und über viele Menschen, die das nicht überleben werden«, sagte er.

Die Freien Wähler geben derweil im Streit um die »Bundes-Notbremse« nicht auf: Die Bundesvereinigung kündigte am Mittwochabend an, per Verfassungsbeschwerde am Bundesverfassungsgericht gegen die geplante Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes vorgehen zu wollen. Der Bund sei nicht die richtige Ebene, pragmatische und sinnvolle Entscheidungen anstelle der Länder zu treffen, sagte Parteichef Hubert Aiwanger. Aus Sicht der Freien Wähler werde mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes das Subsidiaritätsprinzip ausgehebelt.

Das Bundeskabinett hatte am Dienstag eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, die bundeseinheitliche Maßnahmen für Regionen mit vielen Neuinfektionen vorsieht. Damit müssen sich die Menschen in weiten Teilen Deutschlands auf Ausgangsbeschränkungen zwischen 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr und geschlossene Läden einstellen. Kommende Woche sollen die Neuerungen erst vom Parlament beschlossen werden und dann den Bundesrat passieren - trotz deutlicher Kritik einiger Länder und der Opposition im Bundestag.

Heftige Kritik an den Ausgangsbeschränkungen kommt weiter aus der FDP: »Pauschale und flächendeckende Ausgangssperren halten wir für unverhältnismäßig, sie sind ein zu großer Eingriff in die Freiheit«, sagte FDP-Chef Christian Linder der »Augsburger Allgemeinen« (Donnerstag). »Außerdem bringen sie uns bei der Pandemiebekämpfung nicht weiter«, sagte Lindner. Es sei richtig, Partys in Wohnungen zu verhindern. Die gesamte Bevölkerung allerdings in ihrer Bewegungsfreiheit massiv einzuschränken, sei dafür nicht das geeignete Mittel.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte dagegen erneut die geplante Gesetzesänderung: »Dass wir jetzt die gesetzliche Grundlage angesichts sehr stark steigender Infektionen präzisieren, dient der Einfachheit, der Klarheit und der Verbindlichkeit«, sagte er der »Saarbrücker Zeitung« (Donnerstag). »Viele Bürgerinnen und Bürger beklagen zu Recht, dass es an Klarheit mangelt - die schaffen wir jetzt.« (dpa)