In Israel haben erneut Hunderttausende Menschen trotz des vorläufigen Stopps der umstrittenen Justizreform demonstriert. Die Hauptkundgebung der landesweiten Proteste war den 13. Samstag in Folge in Tel Aviv. Dort versammelten sich Medienberichten zufolge mehr als 170.000 Menschen.
»Die Regierung will keine Einigung, sondern nur Zeit gewinnen, um den Justizputsch zu verabschieden«, hieß es von den Organisatoren. »Netanjahus Versuch, die Demonstranten zum Schweigen zu bringen, ist gescheitert.« Demnach sollen mehr als 450.000 Menschen landesweit an rund 150 Orten auf die Straßen gegangen sein.
Die Demonstranten schwenkten etwa israelische Flaggen und hielten Schilder, auf denen zu lesen war: »Demokratie ist stärker als diese Regierung« oder »Verhaftet Netanjahu«. Dazu waren Bilder zu sehen, die Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in orangenfarbener Gefängniskleidung zeigen sollten. In Tel Aviv, Jerusalem und weiteren Städten blockierten die Demonstranten mehrere Straßen. Vereinzelt kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei sowie Festnahmen. In Tel Aviv setzte die Polizei Wasserwerfer ein.
Oppositionsführer: »Gefahr ist noch nicht vorbei«
Netanjahu hatte nach massiven Protesten und einem Generalstreik das höchst umstrittene Gesetzesvorhaben am Montag für wenige Wochen verschoben, um »Platz für Dialog« zu schaffen. Seit Dienstag fanden mehrere Gespräche zwischen Koalition und der Opposition statt. An den Protesten in Tel Aviv nahm am Samstag auch Oppositionsführer Jair Lapid teil. »Wir sind auf der Hut. Die Gefahr ist noch nicht vorbei«, schrieb er auf Twitter. Er hatte zuletzt mehrfach an der Ernsthaftigkeit Netanjahus gezweifelt, einen Kompromiss erreichen zu wollen.
Netanjahus Koalition will mit der Justizreform den Einfluss des Höchsten Gerichts beschneiden und die Machtposition der Regierung ausbauen. Sie wirft dem Gericht übermäßige Einmischung in politische Entscheidungen vor. Dem Parlament soll es künftig etwa möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Kritiker sehen die Gewaltenteilung in Gefahr und warnen vor einer Staatskrise, sollte die Reform so umgesetzt werden.
© dpa-infocom, dpa:230401-99-176024/3