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Marin und der Dreikampf um die finnische Regierungsmacht

Beim Nato-Anwärter Finnland muss Regierungschefin Sanna Marin trotz ihrer Popularität um ihr Amt bangen. Es bahnt sich ein Dreikampf um die Regierungsmacht an.

Sanaa Marin
Als junge, charismatische Ministerpräsidentin ist die Sozialdemokratin international zu einer der gefragtesten Politikerinnen der EU geworden. Foto: Roberto Monaldo
Als junge, charismatische Ministerpräsidentin ist die Sozialdemokratin international zu einer der gefragtesten Politikerinnen der EU geworden.
Foto: Roberto Monaldo

Nicht sonderlich viele Menschen im restlichen Europa haben sich in der Vergangenheit für finnische Regierungschefs interessiert - dann kam Sanna Marin. Als junge, charismatische Ministerpräsidentin ist die Sozialdemokratin international zu einer der gefragtesten Politikerinnen der EU geworden. Dennoch ist völlig offen, ob sie nach der an diesem Sonntag anstehenden Parlamentswahl im Nato-Anwärterland Finnland weiterregieren kann. Gleich drei Parteien haben gute Chancen, stärkste Kraft im Parlament werden.

Die konservative Nationale Sammlungspartei, Marins Sozialdemokraten und die rechtspopulistische Partei Die Finnen lagen in den Umfragen zuletzt fast gleichauf, mit minimalem Vorsprung für die Konservativen um Ex-Finanzminister und Oppositionsführer Petteri Orpo. »Jeder von ihnen kann Erster werden«, sagt der Politikwissenschaftler Juhana Aunesluoma von der Universität Helsinki. »Sie liegen so nahe beieinander, dass es unmöglich ist, das Ergebnis vorauszusagen.«

Schon bei der letzten Parlamentswahl 2019 hatte die drei Parteien weniger als ein Prozentpunkt getrennt. Die Sozialdemokraten hatten die Wahl damals unter Marins parteiinternem Vorgänger Antti Rinne knapp für sich entschieden. Rinne trat jedoch nach nur knapp einem halben Jahr im Amt im Streit mit dem wichtigsten Koalitionspartner, der Zentrumspartei, zurück. Die aus fünf Parteien bestehende Mitte-links-Koalition blieb intakt. Angeführt wurde sie von nun an aber von der vorherigen Verkehrs- und Kommunikationsministerin Sanna Marin. Die damals jüngste Regierungschefin der Erde stand an der Spitze einer überwiegend von Frauen dominierten Regierung.

Nato-Beitritt auf der Zielgeraden

Marin, heute 37 Jahre alt und seit über drei Jahren Regierungschefin, hat Finnland seitdem durch eine aufreibende Zeit geführt. Erst kam die Corona-Krise, dann der Ukraine-Krieg des Nachbarlandes Russland, an das Finnland auf satten 1340 Kilometern Länge grenzt. In Folge des Krieges entschloss sich Finnland, die Mitgliedschaft in der Nato zu beantragen. Nach dem Ja aus Ungarn am Montag und dem angekündigten Ja aus der Türkei befindet sich der Nato-Beitritt - nach jahrzehntelanger militärischer Bündnisfreiheit - auf der Zielgeraden.

Marin hatte im Parlament zuletzt nochmals betont, Finnland habe in ihrer Amtszeit historische Entschlüsse getroffen und große Krisen gemeistert. »Wir haben während der Amtszeit dieser Regierung außergewöhnliche Zeiten erlebt«, sagte sie. Trotzdem seien 90 Prozent der im Regierungsprogramm festgehaltenen Ziele erreicht worden.

Politikprofessor Aunesluoma attestiert ihr gute Arbeit. »Das ist im Grunde drei Jahre lang Krisenmanagement gewesen, und ich denke, die meisten Menschen in Finnland finden, dass die Regierung einen wirklich guten Job gemacht hat - besonders Sanna Marin persönlich«, sagt er. »Ihre Führung wird sehr geschätzt.«

Der Nato-Beitritt spielte im Wahlkampf keine Rolle. Der Konsens darüber sei in der Bevölkerung sowie unter Medien, Experten und den Parteien extrem groß, sagt Aunesluoma - so groß, dass man damit kaum Punkte gegenüber den politischen Kontrahenten sammeln konnte.

Wichtiger sind vielmehr innenpolitische Themen gewesen, die Staatsfinanzen zum Beispiel, Grund- und Sozialleistungen, die älter werdende Bevölkerung, Gesundheit und Bildung. »Es ist im Grunde eine Wahl über den finnischen Wohlfahrtsstaat«, sagt Aunesluoma. Es gebe das Gefühl, dass dieses System strukturelle Probleme habe.

Der Sanna-Marin-Effekt

Für die Sozialdemokraten steht und fällt dabei letztlich alles mit der jungen, populären Ministerpräsidentin: Marin sei eine besondere Politikerin mit Charisma, die alle möglichen Zielgruppen ansprechen und die Dinge klar auf den Punkt bringen könne, sagt Aunesluoma. Ihre Popularität sei deutlich höher als die der Sozialdemokraten an sich.

Diese Beliebtheit zeigt sich unter anderem in den sozialen Medien. Auf Instagram etwa kombiniert Marin Eindrücke aus dem Leben einer Politikerin mit Schnappschüssen aus dem Privaten, rund eine Million Menschen aus aller Welt sehen ihr dabei zu. »Ihr Instagram-Konto ist für Finnland wirklich einzigartig«, sagt die Social-Media-Expertin Essi Pöyry. Marin nutze die Plattform, um ihren Lifestyle zu zeigen und täglich positive Dinge zu kommunizieren.

Anfangs als harte Verhandlungsführerin und klare Kommunikatorin bekannt, habe das internationale Interesse an Marin nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin eingesetzt, sagt Pöyry. Viele Menschen hätten angefangen, sie als Symbol für eine neue Generation zu betrachten. »Die Zeit war perfekt für eine junge, weibliche Anführerin.«

Dennoch ist vor dem Wahlsonntag völlig offen, wie die künftige Regierung aussehen und wer sie anführen wird. Marin habe die Tür für eine Zusammenarbeit mit der Finnen-Partei zugestoßen, sagt der Ökonom und Wahlexperte Juha Tervala. Die Konservativen befänden sich dadurch in der angenehmen Lage, dass bei der Regierungsbildung an ihnen quasi kein Weg vorbeiführen dürfte. Letztlich könnte es auf eine große Koalition zwischen Orpos Konservativen und Marins Sozialdemokraten hinauslaufen, die sich für eine Mehrheit mit mehreren kleineren Parteien zusammenschließt, glaubt Tervala.

© dpa-infocom, dpa:230330-99-142558/2