Wie ein Star von Zigtausenden jungen Zuhörern bejubelt hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Dresden ein flammendes Plädoyer für Europa gehalten. »Wir müssen die Kraft, das Engagement wiederfinden, es (Europa) überall zu verteidigen«, appellierte der französische Staatschef vor der Frauenkirche. Immer wieder wechselte er bei seiner Rede vom Französischen ins Deutsche und begeisterte das vorwiegend junge Publikum mit seinen ehrgeizigen Visionen und persönlichen Noten. Den Gipfel fand sein Auftritt bei der »Fête de l'Europe«, als Macron mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, einem Jugendchor und dem Publikum die Europa-Hymne sang.
In seiner gut 40-minütigen, leidenschaftlichen Rede pochte Macron an dem geschichtsträchtigen Ort darauf, dass ein starkes und souveränes Europa nötig sei. Denn Europa befinde sich am Scheideweg, sagte der französische Staatschef vor Jugendlichen auch aus Polen, Tschechien und Frankreich. »Europa ist eine Geschichte von Frieden, Wohlstand und Demokratie.« All dies sei nun aber bedroht, wenn Europa nicht handele. Europa könne sterben, warnte Macron. »Europa ist ein Garant für Frieden. Für viele von uns klang dieses Argument lange Zeit überholt. Doch heute herrscht wieder Krieg in Europa.«
Gerade angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine beschwor Macron die Notwendigkeit einer eigenständigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, innerhalb der Nato müssten die Europäer als Alliierte agieren. Forderungen, die Macron vor einem Monat erst in einer viel beachteten Rede in der Pariser Sorbonne-Universität herausgehoben hatte, ebenso wie seine Vision für ein wirtschaftlich eigenständiges Europa. In der Wirtschaftspolitik müsse Europa souveräner und unabhängiger werden, insbesondere gegenüber der Konkurrenz durch China und die USA, betonte der Präsident. »Europa braucht ein Wachstumsmodell für künftige Generationen.«
»Europa ist kein Supermarkt«
Knapp zwei Wochen vor der Europawahl warnte Macron in Dresden auch vor dem Erstarken von Extremen in Europa - auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsnationalen um Marine Le Pen Umfragen zufolge bei dem Votum in Frankreich stärkste Kraft werden und Macrons Liberale deutlich überholen dürften. Demokratie und Freiheit seien allen als so selbstverständlich erschienen, meinte Macron. Nach dem Mauerfall habe man gedacht, dieser Wind werde sich überall ausbreiten.
»Aber lasst uns heute um uns schauen! Lasst uns die Faszination für autoritäre Regime anschauen. Lasst uns in Europa den illiberalen Moment anschauen, den wir durchleben!« Macron mahnte, vielen wollten zwar die Gelder aus Brüssel, doch von unabhängiger Justiz, Pressefreiheit, Kulturvielfalt und Autonomie der Universitäten nichts wissen. »Diese Tendenz ist keine Tendenz, sie ist Realität in Ungarn. Das war Realität bis zu den wunderbaren Wahlen in Polen.« Macron ergänzte: »Überall in unseren Demokratien gedeihen diese Ideen, denen von den Extremen und besonders den Rechtsextremen Aufschwung gegeben wird.«
Eindringlich forderte der 46-Jährige: »Lasst uns aufwachen! Unser Europa ist kein Supermarkt!« Europa sei nicht nur ein Ort, an dem man sich gemeinsame Regeln gebe. »Es ist eine Säule der Werte, der Kultur, der individuellen und politischen Freiheiten.« Man müsse Europa verteidigen und auf die Sorgen und auf die Gründe für die Wut mit einem Europa des Respekts antworten. »Ein Europa, das in gewisser Weise einen Humanismus von Grund auf aufbaut.«
Steinmeier fordert Mut und Zuversicht für Europa
Auch Bundespräsident Steinmeier und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer warben in Dresden für Freiheit und Demokratie in Europa. »Europa ist nicht aus Zweifeln und Ängstlichkeit entstanden, Europa ist das Ergebnis von Mut und Zuversicht; und die müssen wir auch jetzt zeigen«, sagte Steinmeier. Generationen hätten daran gearbeitet, »dass dieser Kontinent ein Kontinent von Freiheit und Demokratie wird«, sagte das deutsche Staatsoberhaupt. »Es liegt an uns, diese Arbeit fortzusetzen«, sagte er mit Blick auf die Europawahl am 9. Juni.
Macron berührt von Reise nach Ostdeutschland
Mehrfach schlug Macron, für den eine Rede auf Deutsch bei weitem keine alltägliche Angelegenheit ist, in Dresden persönliche Töne an, berichtete von seinen ersten Berührungen mit Deutschland in der Schule. »Ich lernte die deutsche Sprache und Kultur und tue das immer noch. Ich tue mein Bestes, glauben Sie mir.« Macron schilderte, wie er an einem Austausch zwischen seinem Heimatort Amiens und Dortmund teilnahm. »Ich entdeckte Ihr Land, das damals noch durch die Mauer geteilt war.«
Macron ist der erste französische Präsident, der bei einem offiziellen Besuch nach Ostdeutschland reist. »Heute als erster französischer Präsident seit der Wiedervereinigung hier in Dresden vor Ihnen zu sprechen, ehrt mich (...) ganz besonders. Es berührt mich sehr«, sagte der 46-Jährige. »Es ist eine Ehre für mich als Franzose und Freund von Deutschland, aber auch als überzeugter Europäer.« Kurz kam Macron auch darauf zu sprechen, dass er eigentlich bereits vor einem knappen Jahr zum Staatsbesuch in Dresden erwartet worden war, die Reise aber wegen heftiger Unruhen in Frankreich kurzfristig absagen musste. Mit leichtem Witz sagte er dazu nun auf Deutsch: »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«
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