Der umstrittene australische Kardinal George Pell ist im Alter von 81 Jahren in Rom gestorben. Seinen Tod bestätigte der Erzbischof von Sydney, Anthony Fisher, in der Nacht zu Mittwoch mit einer Nachricht auf seiner Facebook-Seite, deren Authentizität der Deutschen Presse-Agentur bestätigt wurde.
Das vatikaneigene Medienportal »Vatican News« berichtete, Pell sei am Dienstagabend nach Komplikationen infolge einer Hüftoperation gestorben. Die OP war demnach schon länger geplant.
Fischer traf Pell nach eigener Aussage noch bei der Trauerfeier für den emeritierten Papst Benedikt XVI. am 5. Januar. »Der Kardinal und ich wussten nicht, dass dies das letzte Mal sein würde, dass wir uns in diesem Leben treffen«, schrieb er in einer Mitteilung. Im Vatikan blieb es zunächst still. Erst am Nachmittag veröffentlichte der Heilige Stuhl ein Telegramm von Papst Franziskus. Der 86 Jahre alte Argentinier würdigte darin Pells Einsatz für die Kirche und seine Arbeit an der Wirtschaftsreform des Heiligen Stuhls. Er bezeichnete ihn als »treuen Diener«, der Gott auch »in der Stunde der Prüfung« mit Ausdauer folgte. Wenige Stunden zuvor erwähnte der Papst den Tod des Australiers bei der wöchentlichen Generalaudienz nicht.
»Für viele Menschen, besonders katholischen Glaubens, wird das ein schwieriger Tag«, sagte Australiens Premierminister Anthony Albanese am Morgen im Bundesstaat Queensland. Er sprach allen Trauernden sein Beileid aus und kündigte an, dass der Leichnam des Kardinals nach der Trauerfeier im Vatikan zurück nach Australien gebracht werde. Dort solle er in der St. Mary's-Kathedrale in Sydney beerdigt werden. Albanese, der selbst Katholik ist, gab zunächst keine Auskunft darüber, ob er an der Beerdigung teilnehmen wird.
Als kirchlicher und kultureller Konservativer habe Pell sowohl Lob, als auch Kritik auf sich gezogen, sagte der frühere australische Premierminister Tony Abbott. Tatsächlich sei der Kardinal aber sehr fürsorglich gewesen, habe die Fehler der Menschen verstanden und sei »mehr als fähig« gewesen, sich in Sünder einzufühlen und sie zu beraten. Der australische Oppositionsführer und Vorsitzende der Liberalen in Australien, Peter Dutton, bezeichnete die Missbrauchsvorwürfe gegen Pell und dessen Inhaftierung als »politische Verfolgung«.
»Für alle ein großer Schock«
Franziskus nannte Pell im Dezember einen "großartigen Menschen", dem man viel schulde. Pells Nachfolger im Erzbistum Sydney schrieb, die Nachricht vom Tode des Kardinals sei »Für alle ein großer Schock«. Vielen anderen, vor allem abseits der katholischen Kirche, dürfte der tiefe Fall des Kardinals im Gedächtnis bleiben.
Der Fall, für den Pell in seiner Heimat der Prozess gemacht wurde, reichte in die Jahre 1996/97 zurück, als Pell gerade Erzbischof in Australiens zweitgrößter Stadt Melbourne geworden war. Nach einem Gottesdienst soll er sich an den zwei Chorknaben vergangen haben, die damals 13 Jahre alt waren. Die Aussage eines früheren Chorknaben war maßgeblich für das Urteil, das der Öffentlichkeit Anfang 2019 bekannt wurde. Verurteilt wurde er zu sechs Jahren Haft.
Doch Pells Verteidiger argumentierten, dass die Aussage des früheren Chorknaben nicht ausreichend war, um die Schuld des Kardinals zweifelsfrei festzustellen. Sie führten an, nach einer Sonntagsmesse sei es unmöglich gewesen, dass ein Erzbischof fünf oder sechs Minuten in der Sakristei mit zwei Chorknaben alleine war - so soll es bei einem Übergriff gewesen sein. Das höchste australische Gericht gab dem Berufungsantrag im April 2020 mangels Beweisen statt. Nach 13 Monaten war Pell überraschend wieder ein freier Mann - und kehrte wenige Monate nach seiner Freilassung, mitten in der Corona-Pandemie und trotz Reisebeschränkungen - in den Vatikan zurück.
Zivilklage gegen Pell auch nach seinem Tod
Anwälte der Familie eines der ehemaligen Chorknaben teilten mit, eine Zivilklage gegen Pell auch nach seinem Tod fortzuführen. »Ein Zivilprozess hätte wahrscheinlich die Möglichkeit geboten, Pell ins Kreuzverhör zu nehmen«, hieß es in einer Mitteilung der Anwälte. Der ehemalige Chorknabe starb nach Angaben der Nachrichtenagentur AAP 2014 an einer Überdosis Drogen.
Der ehemalige Vorsitzende der Wahrheitskommission der katholischen Kirche in Australien, Francis Sullivan, sagte dem Sender ABC, es gebe eine Spaltung innerhalb der Kirche. Dafür seien viele der Erzbischöfe und auch Kardinal Pell verantwortlich.
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