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Lula will Brasilien mit sich selbst und der Welt versöhnen

Der harte Wahlkampf hat im größten Land Lateinamerikas tiefe Wunden gerissen. Der neue Präsident muss nun Brücken schlagen. Auch im Ausland hoffen viele auf einen Neuanfang mit dem grünen Riesen.

Wahlen in Brasilien
Eine Lula-Unterstützerin feiert seinen Wahlsieg. Foto: Fernando Souza
Eine Lula-Unterstützerin feiert seinen Wahlsieg.
Foto: Fernando Souza

Nach Wochen des Hasses und der Eskalation in der politischen Arena rüstet Brasiliens künftiger Präsident rhetorisch erst einmal ab. »Es ist an der Zeit, die Familien wieder zusammenzuführen und die Bande der Freundschaft wiederherzustellen«, sagt Luiz Inácio Lula da Silva nach seinem Wahlsieg. »Niemand ist daran interessiert, in einem geteilten Land zu leben, in einem permanenten Kriegszustand.« Die Anhänger des Ex-Präsidenten (2003-2010) feiern auf der Avenida Paulista in der Millionenmetropole São Paulo das Comeback der Linken-Ikone und tauchen die Prachtstraße in das Rot der Arbeiterpartei (PT).

Mit einem hauchdünnen Vorsprung setzt sich Lula in der Stichwahl gegen den rechten Amtsinhaber Jair Bolsonaro durch. Nach der Auszählung aller Stimmen kommt Lula auf 50,90 Prozent der Stimmen, sein Widersacher Bolsonaro erhält 49,10 Prozent. Das ist Medienberichten zufolge der knappeste Wahlsieg in Brasilien seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie Ende der 1980er Jahre.

Den Wahlkampf hatten beide Lager mit harten Bandagen geführt und sich mit Anschuldigen, Beleidigungen und im Internet gestreuten Falschinformationen überzogen. Die Schlammschlacht zeigte, wie tief gespalten das größte Land Lateinamerikas ist. Nun ist es an Lula, die Gräben wieder zuzuschütten und die Menschen miteinander zu versöhnen.

»Ich bin hier, um dieses Land in einer sehr schwierigen Situation zu regieren«, sagt Lula bei seiner Siegesrede. »Aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit Hilfe des Volkes einen Ausweg finden werden, damit dieses Land wieder demokratisch und harmonisch leben kann.«

Lula galt als »Präsident der Armen«

Viele seiner Anhänger verbinden Lula noch immer mit den goldenen Zeiten Brasiliens. Der heute 77-Jährige war erst Schuhputzer, dann Gewerkschaftsführer, und schaffte es schließlich in den Präsidentenpalast. Während seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 modernisierte der »Präsident der Armen« die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas und verbesserte die Lebensbedingungen von Millionen armer Brasilianer mit dem Programm »Fome Zero« (Null Hunger) und der Familiensozialhilfe.

»Lula hat vor allem auf die Karte Nostalgie gesetzt«, sagt der Politikwissenschaftler Mauricio Santoro von der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro. »Und an das Versprechen, wieder an seine Errungenschaften anzuschließen.« Der charismatische Politiker galt lange Zeit als Lichtgestalt der lateinamerikanischen Linken. Der damalige US-Präsident Barack Obama würdigte ihn einmal als »beliebtesten Politiker der Welt«. Allerdings blühte während seiner Regierungszeit auch die Vetternwirtschaft. Lula selbst saß über ein Jahr wegen Korruption und Geldwäsche im Gefängnis - das Urteil wurde später aus formalen Gründen aufgehoben.

Jetzt startet der 77-Jährige noch einmal durch und tritt Anfang kommenden Jahres als erster demokratisch gewählter Präsident Brasiliens eine dritte Amtszeit an. Die Erwartungen an den Staatschef sind enorm. Bolsonaro hat das Land mit seiner Verweigerungshaltung beim Umweltschutz, seiner eigenwilligen Corona-Politik und seinen vulgären Ausfällen auf der Weltbühne isoliert. Der erfahrene Diplomat Lula könnte Brasilien nun wieder auf das internationale Parkett führen. »Brasilien ist zurück. Das Land ist zu groß, um zum Paria der Welt herabgestuft zu sein«, sagt Lula bei seiner Rede nach dem Wahlsieg.

Wahl hat Auswirkungen auf den Rest der Welt

Wer in Brasília am Drücker ist, hat durchaus auch Auswirkungen auf den Rest der Welt: Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Angesichts der angespannten Lage auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt wegen des Ukraine-Kriegs ist Brasilien mit seinen enormen natürlichen Ressourcen auch ein wichtiger Handelspartner.

Vier Jahre Bolsonaro sind an der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas aber nicht spurlos vorübergegangen. Dem Ex-Militär war es gelungen, die unterschiedlichen rechten Strömungen des Landes zu bündeln. Die »Bolsonaristas« sind nach Einschätzung von Experten gekommen, um zu bleiben. Bereits in der ersten Wahlrunde hatten Bolsonaros Gefolgsleute eine Reihe wichtiger Gouverneursposten erobert. Seine Liberale Partei (PL) stellt künftig auch die stärkste Fraktion im Kongress, vor Lulas Arbeiterpartei (PT). Und ohne den »Centrão« - eine Ansammlung kleiner und kleinster Parteien, die sich häufig im Gegenzug für politische Unterstützung Ämter und Posten sichern - kann in Brasília ohnehin niemand regieren.

© dpa-infocom, dpa:221031-99-325060/2