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Londoner Polizei fasst ausgebrochenen Terrorverdächtigen

Ein entflohener Häftling hält tagelang die britische Polizei in Atem. Er wird gefasst, doch der Fall wirft ein Schlaglicht auf marode Gefängnisse.

London
Beamte konnten den 21-Jährigen demnach im Londoner Stadtteil Chiswick ergreifen, wie die Metropolitan Police mitteilte. Foto: Jamie Lashmar/DPA
Beamte konnten den 21-Jährigen demnach im Londoner Stadtteil Chiswick ergreifen, wie die Metropolitan Police mitteilte.
Foto: Jamie Lashmar/DPA

Nach tagelanger Fahndung hat die britische Polizei einen aus einem Londoner Gefängnis ausgebrochenen Terrorverdächtigen festgenommen. Beamte konnten den 21-Jährigen demnach um kurz vor 11 Uhr (Ortszeit) im Londoner Stadtteil Chiswick ergreifen, wie die Metropolitan Police mitteilte. Er war demnach auf einem Fahrrad an einem Kanal unterwegs, als er von Zivilbeamten gefasst wurde.

Mit der Festnahme endet eine mehrtägige, großangelegte Fahndung, an der 150 Beamten beteiligt waren und in deren Verlauf an Häfen und Flughäfen die Sicherheitschecks erheblich verschärft worden waren. Der Mann war am Mittwochmorgen aus dem Gefängnis Wandsworth im Südwesten Londons ausgebrochen, indem er sich an die Unterseite eines Lastwagens klammerte.

»Enorme Zahl an Hinweisen«

Der Fall hatte für großes Aufsehen gesorgt und ein Schlaglicht auf das marode Justizvollzugssystem in Großbritannien gelenkt. Viele Gefängnisse gelten als überfüllt und veraltet. Ein Teil der Gebäude stammt noch aus dem 19. Jahrhundert. Hinzu kommen Personalmangel, ein hoher Krankenstand und eine starke Fluktuation.

Premierminister Rishi Sunak zeigte sich zufrieden mit dem Fahndungserfolg. Er danke der Polizei und der Öffentlichkeit, die mit einer »enormen Zahl an Hinweisen« geholfen habe, sagte der konservative Politiker am Rande des G20-Gipfels in Indien.

Für den britischen Premier kommt die Debatte über den unterfinanzierten Justizvollzug zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Schon seit Tagen ist die Regierung in London wegen bröckelnden Schulgebäuden in der Kritik. Mehr als 100 Schulen in England mussten zu Beginn des Schuljahres ganz oder teilweise geschlossen werden, weil darin vor Jahrzehnten Porenbeton verbaut wurde, der nun nachgibt. Das konservative Magazin »Spectator« überschrieb seine jüngste Ausgabe mit dem Titel »Broken Britain« (etwa: »Kaputtes Großbritannien«).

Regierung kündigt Untersuchungen an

Im Fall des entflohenen Häftlings hatte die Regierung eingehende Untersuchungen angekündigt. Für Verwunderung hatte gesorgt, wie es dem Mann gelungen war, zunächst unbemerkt zu entkommen und warum er nicht von vorneherein in einem Gefängnis mit höherer Sicherheitsstufe untergebracht war. Wandsworth, das oft nur als Durchgangsstation dient, hat nur die zweithöchste Stufe.

Ihm wird vorgeworfen, Bombenattrappen auf einer Militärbasis platziert zu haben und Informationen gesammelt zu haben, die für Terroristen oder feindliche Staaten nützlich sein könnten. Er stritt die Vorwürfe ab. Ein Gerichtsverfahren war für November angesetzt.

Überbelegung in englischen Gefängnissen

Die Zustände in englischen Gefängnissen werden seit langem von Menschenrechtsorganisationen und auch der staatlichen Aufsichtsbehörde angeprangert. Laut der Webseite World Prison Brief sind die 118 Haftanstalten in England mit mehr als 87.000 Gefangenen zu 111 Prozent ihrer offiziellen Kapazität belegt. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Belegungsrate 77,6 Prozent.

Im 1851 eröffneten Gefängnis Wandsworth war schon der wegen seiner Homosexualität verfolgte Schriftsteller Oscar Wilde eingesperrt. Zuletzt verbrachte auch der deutsche Ex-Tennis-Star Boris Becker einige Zeit in dem Gefängnis.

Der Gefängnisbeauftragte der britischen Regierung, Charlie Taylor, forderte die Schließung der Haftanstalt. Viele der Häftlinge teilten sich dort ein Zelle, die ursprünglich nur für einen Gefangenen bestimmt gewesen sei. »Wenn man ein Gefängnis wie Wandsworth findet, muss es wirklich geschlossen werden«, sagte der Chief Inspector of Prisons dem britischen Nachrichtensender Sky News. Das sei aber wegen der Überlastung der Gefängnisse derzeit nicht möglich.

© dpa-infocom, dpa:230909-99-132105/5