Die britische Premierministerin Liz Truss steht nach nur wenigen Wochen vor den Scherben ihrer auf Steuererleichterungen setzenden Regierungspolitik. Nach mehreren Kehrtwenden und dem Rauswurf ihres Vertrauten und Finanzministers Kwasi Kwarteng berief die Nachfolgerin von Ex-Premier Boris Johnson den regierungserfahrenen Jeremy Hunt zum neuen Schatzkanzler.
Der 55-Jährige soll zum Retter in der Not werden - deutete am Wochenende aber bereits an, Truss' wichtigsten Pläne in Steuer- und Haushaltsfragen kräftig umkrempeln zu müssen.
Damit findet sich Großbritannien nicht einmal sechs Wochen nach dem Wechsel in der Downing Street in der nächsten Regierungskrise wieder. Damals trat Truss die Nachfolge von Johnson an, der im Zuge des »Partygate«-Skandals untragbar für seine Partei geworden war. Truss hatte sich davor in einer parteiinternen Wahl gegen Rishi Sunak und weitere konservative Spitzenpolitiker durchgesetzt - in erster Linie, indem sie massive Steuererleichterungen versprach.
Jeremy Hunt soll der Retter in der Not sein
Für diese Steuerpläne fehlte jedoch die Gegenfinanzierung. Die Finanzmärkte reagierten mit heftigen Turbulenzen. Daraufhin legte Truss mehrere Kehrtwenden hin: Erst kassierte sie die Streichung des Spitzensteuersatzes, dann verabschiedete sie sich am Freitag nicht nur von Finanzminister Kwarteng, sondern auch von einer geplanten Steuererleichterung bei der Unternehmensteuer.
Nun soll der frühere Außen- und Gesundheitsminister Jeremy Hunt die Kohlen für die angeschlagene Premierministerin aus dem Feuer holen. Er teile mit ihr den Wunsch, eine Wirtschaft mit hohem Wachstum und niedrigen Steuern aufzubauen, schrieb Truss in einem Meinungsbeitrag in der »Sun«. Hunt sagte am Samstag in seinem ersten Interview in seiner neuen Position bei Sky News, es sei eine große Ehre, neuer Finanzminister zu sein. »Aber ich möchte ehrlich mit den Leuten sein: Wir haben einige sehr schwierige Entscheidungen vor uns.«
Diesen Standpunkt wiederholte Hunt am Wochenende immer und immer wieder. Dabei räumte er auch offen »Fehler« der Truss-Regierung ein. Das Streben nach Wirtschaftswachstum sei zwar richtig, teilte er in einer Erklärung mit. »Aber wir sind zu weit gegangen, zu schnell«, erklärte er mit Blick auf die umstrittene Wirtschaftspolitik von Truss. Sein Fokus liege auf Wachstum, das sich auf Stabilität stütze.
Zugleich stimmte er seine Landsleute auf weitere Änderungen an den Steuerplänen der Premierministerin ein. »Einige Steuern werden nicht so schnell gesenkt, wie die Leute wollen - einige Steuern werden steigen«, sagte er Sky News. Konkrete Schritte kündigte er aber noch nicht an. Am Sonntagnachmittag war er erstmals bei Truss auf dem Landsitz Chequers, um über die Wirtschaftspläne zu beratschlagen.
Auch Joe Biden kritisiert die Steuerpläne von Truss
Fest steht, dass Hunt die britische Wirtschaftspolitik nun praktisch komplett neu ausrichten muss. Damit könnte er letztlich das gesamte Konstrukt einreißen, das Truss den Sieg über Sunak beschert hatte. Der Retter könnte somit zum Totengräber werden - und sich selbst politisch wieder an vorderste Reihe vorspielen. Schon jetzt wird er in London als mächtigster Politiker der Regierung betrachtet. Truss habe jedoch weiterhin das Sagen, beteuerte er am Sonntag bei der BBC - dass der neue Schatzkanzler das betonen muss, spricht bereits Bände.
Ohnehin prasselt derzeit dauerhaft Kritik auf Truss ein. Selbst US-Präsident Joe Biden schien in sie einzustimmen. Er sagte am Samstagabend (Ortszeit) bei einem Besuch im US-Bundesstaat Oregon, er sei nicht einverstanden gewesen mit dem Ansatz, in Zeiten wie diesen Steuererleichterungen für Superreiche auf den Weg zu bringen. »Ich war nicht der einzige, der dies für einen Fehler hielt.« Es sei aber nicht an ihm, sondern an Großbritannien, darüber zu urteilen.
Bei den konservativen Tories wird nun bereits mehr oder weniger laut über den Sturz von Truss nachgedacht. Ex-Finanzminister George Osborne sagte am Sonntag dem Sender Channel 4, am wahrscheinlichsten sei es, dass »sie vor Weihnachten fällt«. Noch deutlicher wurde der Tory-Abgeordnete Crispin Blunt bei dem Sender: »Nein, ich denke, das Spiel ist aus«, sagte er auf die Frage, ob Truss politisch überleben könne. Die Frage sei nun, wie ihre Nachfolge geregelt werde.
Wie der »Observer« am Sonntag berichtete, will sich eine Gruppe hochrangiger Tory-Abgeordneter am Montag treffen, um über die Zukunft der Regierungschefin zu beraten. Manche wollen demnach, dass sie in den nächsten Tagen hinwirft, andere sprechen davon, sie habe zwar das Amt inne, nicht aber die Kontrolle.
Ein möglicher Truss-Abgang würde für die Konservativen allerdings zu einem weiteren, potenziell weitaus größeren Problem führen: Sollte sie aus dem Amt gejagt werden, würde eine vorgezogene Neuwahl wohl unausweichlich werden. Das Problem für die Konservativen: In Umfragen liegen sie deutlich hinter der oppositionellen Labour-Partei. Der Rettungseinsatz für Truss könnte sich somit in Wirklichkeit zu einem Rettungseinsatz für die Tories an sich entwickeln.
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