Nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht und ihren Mitstreitern aus der Linken ist nun auch das Ende der Linksfraktion im Bundestag besiegelt. Sie entschied selbst, sich am 6. Dezember aufzulösen. Die zuletzt 38 Abgeordneten wollen getrennt weitermachen: die 28 verbliebenen Linken in einer parlamentarischen Gruppe - und die zehn Anhänger des »Bündnis Sahra Wagenknecht« in einer anderen.
Parlamentarisch ist der Vorgang etwas Neues. Politisch ist es das Ende einer Ära. »Das Kapitel ist geschlossen«, stellte Parteichefin Janine Wissler nach der Entscheidung fest. Sie klang eher erleichtert als erschüttert.
»Die Linke ist nicht tot«
Die Linksfraktion hatte sich 2005 gegründet, ein Zusammenschluss der Abgeordneten der damaligen PDS und der damals neuen WASG. Aus beiden wurde dann 2007 auch eine Partei: die Linke. Nach 18 Jahren steht nun nicht Erwachsenwerden, sondern Spaltung. Wagenknecht möchte Anfang 2024 eine Konkurrenzpartei gründen. Ihr Verein »Bündnis Sahra Wagenknecht« bereitet dies vor und sammelt schon Spenden.
Die geschiedenen Partner sind künftig Konkurrenten und ringen bereits um die Deutungshoheit. "Wir sind die einzige relevante linke Partei in Deutschland, und wir kämpfen darum, dass wir auch wieder stärker werden", sagte Wissler. Das ist nun das Mantra: »Die Linke ist nicht tot«, betonte auch Noch-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Das Ende der gemeinsamen Fraktion sei die Chance auf einen Neustart. "Bei Niederlagen gilt: Wer achtmal hinfällt, muss neunmal aufstehen."
Die erste Liquidation mitten in der Legislatur
Das mit dem Hinfallen hat Bartsch schon einige Mal hinter sich in mehr als 30 Jahren PDS und Linke im Bundestag. 2002 durchlief auch die Linken-Vorgängerin PDS ein Liquidations-Verfahren, als nur noch zwei Direktkandidatinnen den Sprung in den Bundestag geschafft hatten. FDP und Grüne erlebten nach Wahlschlappen ähnliches. Neu ist, dass sich eine Bundestagsfraktion mitten in der Legislatur auflöst.
Zur Entscheidung erschienen auch vier der zehn sogenannten Abtrünnigen, vielleicht ein letztes Mal. Einsam und still schritten sie zum Saal hinten links auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes: Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Jessica Tatti und später auch Sevim Dagdelen. Sahra Wagenknecht selbst kam nicht.
Spaltung lange vermieden
Die Trennung hatte Bartsch in den Jahren des internen Streits mit Wagenknecht lange vermieden und stets in düstersten Farben ausgemalt. Spaltung habe der Linken noch nie was gebracht, das sehe man in ganz Europa, sagte er immer wieder. Klar ist, dass eine Liquidation mühsam ist und lange dauern kann. Allen 108 Angestellten der Linksfraktion muss gekündigt werden. Es gibt bereits einen Sozialplan. Das Liquidationsdatum Anfang Dezember zögert Kündigungen noch etwas hinaus. Arbeitsrechtliche Verfahren sind trotzdem denkbar.
Die Linksfraktion erhielt nach Angaben des Bundestags 2022 rund 11,5 Millionen Euro staatlicher Zuwendungen und gab rund 9,3 Millionen Euro für Personal aus. Für die neue Gruppen gibt es mit Sicherheit weniger. Wie viel genau es wird, konnte auch der Bundestag zunächst nicht sagen. Anders als bei Fraktionen sei das nicht gesetzlich geregelt. Für die Anerkennung als Gruppe ist ein Bundestagsbeschluss nötig. Darin werden auch Details zu parlamentarischen Rechten festgelegt.
Auch als Gruppe geht noch viel
Läuft es nach dem Muster der Vergangenheit, klingen die Einbußen bei Rechten und Finanzen für die neue Linken-Gruppe überschaubar. »Die bisherigen Gruppen hatten ähnliche Rechte und Ressourcen wie eine Fraktion, allerdings in abgestuftem Maß«, schreibt der Bundestag. »Sie konnten Mitglieder in den Ältestenrat und die Ausschüsse entsenden, hatten Initiativrechte vergleichbar denen der Fraktionen, entsprechend ihrer Größe Redezeiten in Debatten und erhielten Mittel für Mitarbeiter und die Büroinfrastruktur.«
Die zu Beginn der Legislatur wiedergewählte Parlamentsvizepräsidentin Petra Pau darf nach Einschätzung der Linken im Amt bleiben. Was Gruppen in der Vergangenheit nicht durften: namentliche Abstimmungen verlangen oder ein Regierungsmitglied herbeizitieren.
Bartsch will die neue Gruppe möglichst schnell nach Auflösung der Fraktion im Dezember bilden. Wann es soweit sei, dazu lasse sich keine Auskunft geben, teilte der Bundestag auf Anfrage mit. Übergangsweise werden die bisherigen Mitglieder der Linksfraktion wohl als Einzelabgeordnete im Bundestag sitzen. In jedem Fall dürfte es Stühlerücken geben - sowohl bei der Sitzordnung im Plenum als auch bei der Besetzung von Posten in den Ausschüssen. Ob zum Beispiel der frühere Linken-Politiker Klaus Ernst den Vorsitz im Energieausschuss behält, ist sehr fraglich. Er ist nun im Camp Wagenknecht.
Aufbruch in Augsburg?
Wissler zeigte sich nach dem Fraktionsbeschluss zufrieden, dass die Abwicklung nun als Thema vom Tisch ist - auch wenn der Vollzug noch aussteht. Nach dem lähmenden Richtungsstreit mit Wagenknecht gehe es nun wieder los für die Linke, heißt die Losung. Das Aufbruchssignal wollen Wissler und ihr Co-Fraktionschef Martin Schirdewan am Wochenende bei einem Bundesparteitag in Augsburg senden. Bekannt gemacht haben sie schon, dass die Partei einige Hundert neue Mitglieder gewonnen hat - die Zahl der Eintritte sei höher als die der Austritte im Sog von Sahra Wagenknecht.
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