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Lindners unfertiger Etat: Wofür der Bund Geld ausgeben will

Für einen haushaltspolitischen Kurswechsel soll der Bundesetat 2024 erst der Anfang sein. Denn in der Ferne warten Eisberge, warnt der Finanzminister. Aber erst mal warten noch Brocken auf die Koalition.

Christian Lindner
Christian Lindner will die Schuldenbremse unbedingt einhalten. Foto: Kay Nietfeld/DPA
Christian Lindner will die Schuldenbremse unbedingt einhalten.
Foto: Kay Nietfeld/DPA

Es ist ein unfertiger Haushalt. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat im Bundestag den Entwurf des Etats 2024 eingebracht. Lindner setzt auf einen Kurs der Konsolidierung. Viele haushaltspolitische Fragen aber sind offen. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen dürfte es noch strittige Debatten auch in der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP geben.

Wie groß ist der Bundeshaushalt?

Der Bund will im kommenden Jahr 445,7 Milliarden Euro ausgeben - das sind rund 30 Milliarden weniger als in diesem Jahr vorgesehen, als es aber wie in den Vorjahren viele krisenbedingte Ausgaben vor allem wegen der Corona-Pandemie und der Energiekrise gab. Nun soll auf einen Einsparkurs umgeschwenkt werden. »Wer den Ausstieg aus der Krisenpolitik nicht findet, der gefährdet dauerhaft die Stabilität unseres Gemeinwesens«, sagte Lindner.

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll unbedingt eingehalten werden. Sie erlaubt eine Nettokreditaufnahme in einem nur sehr begrenzten Umfang. Die Neuverschuldung soll 2024 laut Entwurf bei 16,6 Milliarden Euro liegen, das sind rund 30 Milliarden Euro weniger als in diesem Jahr.

Warum will Lindner einen Kurswechsel?

Lindner sieht die Einhaltung der Schuldenbremse als wesentliche Grundlage dafür, um haushaltspolitische Herausforderungen der kommenden Jahre zu bewältigen. Schon bis 2027 gebe es Milliardenlücken. Von 2028 müsse der Bund Schulden tilgen, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ausgegeben worden sind - das bedeute Ausgaben von 12 Milliarden Euro pro Jahr. Das 100 Milliarden Euro schwere »Sondervermögen« Bundeswehr werde bis Ende 2027 mutmaßlich vollständig ausgeschöpft sein, so Lindner. Danach sei ein zweistelliger Milliardenbetrag pro Jahr nötig, um die Nato-Quote zu erfüllen.

Die Bundesregierung hat zugesagt, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben. Und: von 2031 an beginne die milliardenschwere Tilgung der Kredite für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, aus dem die Energiepreisbremsen gezahlt werden.

»Hinter der Horizontlinie, für uns noch nicht sichtbar, da kommt ein Eisberg, um nicht zu sagen ein Eisbergfeld«, sagte Lindner. Der Bund müsse nun den Kurs ändern, denn der Eisberg werde seinen Kurs nicht ändern.

Dazu kommt: wegen der steigenden Zinsen liegen die Zinskosten des Bundes 2024 bei 37 Milliarden Euro, dies sei eine Verzehnfachung im Vergleich zum Jahr 2021, so Lindner. »Wir können uns uferlos neue Schulden schlicht nicht erlauben, sie wären nicht finanzierbar.« Das war auch in Richtung der eigenen Koalition gerichtet, denn in Teilen von SPD und Grünen wird die Schuldenbremse kritisch gesehen, sie behindere notwendige Mehrinvestitionen etwa in die Infrastruktur.

Eine weitere Leitplanke des Ministers, der auch FDP-Chef ist: keine Steuererhöhungen. Das engt finanzielle Spielräume ein. Lindner aber betont, der Staat könne nur das Geld ausgeben, das die Bürgerinnen und die Bürger vorher erwirtschaftet haben.

Wofür will der Bund Geld ausgeben?

Das mit Abstand meiste Geld wird wie jedes Jahr im Haushalt des Arbeits- und Sozialministeriums bewegt. Knapp 172 Milliarden Euro sollen dafür 2024 bereitgestellt werden. Das ist mehr als ein Drittel des gesamten Haushalts. Allein für die Rentenversicherung sind dem Entwurf zufolge 127 Milliarden Euro Steuergeld vorgesehen.

Die Investitionen des Bundes sollen bei rund 54 Milliarden Euro liegen, deutlich weniger als 2023. Lindner aber betont, es werde mehr investiert als vor der Krise - trotz Schuldenbremse. Das Finanzministerium nennt als Schwerpunkte Mittel für Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung, den sozialen Zusammenhalt, innere und äußere Sicherheit sowie die Verkehrsinfrastruktur. So soll es mehr Geld für die Schiene geben.

Alle Ressorts außer Verteidigung müssten 2024 und 2025 eine Summe von insgesamt 3,5 Milliarden Euro beitragen. Gespart werden soll zum Beispiel in den Etats des Gesundheitsministeriums und des Familienministeriums. Bei der geplanten umstrittenen Elterngeld-Kappung für Bezieher hoher Einkommen ist das letzte Wort aber möglicherweise noch nicht gesprochen.

Der Wehretat soll um 1,7 Milliarden Euro auf rund 51,8 Milliarden Euro steigen. Über einen echten Zuwachs für 2024 kann sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) aber nicht freuen, denn der Betrag deckt ziemlich genau nur den Bedarf ab, der wegen Tarifsteigerungen nötig wird. Umso mehr muss das Versprechen einer voll ausgestatteten und einsatzbereiten Bundeswehr nun aus dem Sondervermögen finanziert werden. Der Bundesrechnungshof kritisierte Pläne der Bundesregierung: Die Mittel des Sondervermögens sollten nicht mehr ausschließlich der Finanzierung bedeutsamer Ausrüstungsvorhaben dienen. Eine Ausweitung des Zwecks des Sondervermögens sei rechtlich unzulässig.

Welche Rolle spielen Sondervermögen?

Sondervermögen des Bundes abseits des Bundeshaushalts spielen eine wichtige Rolle. Neben dem Sondertopf für die Bundeswehr ist dies vor allem der Klima- und Transformationsfonds, aus dem milliardenschwere Vorhaben für den Klimaschutz investiert werden - zum Beispiel die staatliche Förderung für den Heizungsaustausch. Damit der Fonds mehr Einnahmen hat, soll der CO2-Preis 2024 stärker steigen als ursprünglich geplant. Das dürfte Heizen und Tanken mit fossilen Energien teurer machen.

Abgeordnete der Opposition warfen Lindner Haushaltstricks vor. So sprach der CDU-Haushälter Christian Haase von »Verschiebebahnhöfen«. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, kritisierte, in den »Schattenhaushalten« seien weitere Schulden und milliardenschwere Ausgabenprogramme versteckt.

Wie geht es weiter?

Der Haushaltsentwurf geht nun in die parlamentarischen Beratungen. Mitte November ist die sogenannte Bereinigungssitzung des mächtigen Haushaltsausschusses geplant - dort kommt es üblicherweise noch zu teils großen Veränderungen am Entwurf. Vorher findet noch eine neue Steuerschätzung statt. Diese wird zeigen, ob und welche finanziellen Spielräume es noch gibt.

Umstritten in der Koalition ist zum Beispiel die Ausweitung sozialer Leistungen - sowie die Frage, wie vor allem energieintensive Firmen angesichts von im internationalen Vergleich hohen Strompreisen entlastet werden können. Diskutiert wird über einen staatlich subventionierten Industriestrompreis oder eine Senkung der Stromsteuer. Massiv in der Kritik bei Wirtschaftsverbänden steht, dass die Koalition den sogenannten Spitzenausgleich bei der Stromsteuer streichen will, davon profitieren energieintensive Firmen. Lindner hat betont: bei geplanten Mehrausgaben müsse für eine Gegenfinanzierung gesorgt werden.

Offen ist etwa, ob der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Speisen in der Gastronomie über das Jahresende hinaus fortgeführt wird. Das Gastgewerbe warnt, andernfalls wären Tausende Betriebe vom Aus bedroht.

© dpa-infocom, dpa:230905-99-76899/8