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Lauterbachs »Turbo«-Plan für digitale Patientenakten

Im Alltag läuft längst vieles elektronisch. Doch Gesundheitsdaten in Praxen und Kliniken gibt es oft immer noch nur offline auf Papier. Klappt nun eine Digitalwende?

Elektronische Patientenakte
Ein Facharzt arbeitet mit einer elektronischen Patientenakte, die ein E-Rezept zeigt. Foto: Jens Kalaene
Ein Facharzt arbeitet mit einer elektronischen Patientenakte, die ein E-Rezept zeigt.
Foto: Jens Kalaene

Eine elektronische Akte für Befunde und Laborwerte, Rezepte auf dem Handy statt auf Zetteln: Für Millionen Versicherte sollen rund um die Gesundheit schneller neue digitale Möglichkeiten kommen. Bundesminister Karl Lauterbach (SPD) stellte am Donnerstag Pläne für einen »Neustart« vor, um nach langem Gezerre mehr Tempo zu erreichen.

Als künftiges Herzstück sollen E-Akten bis Ende 2024 für alle gesetzlich Versicherten zur Regel werden - es sei denn, man lehnt das aktiv ab. Möglich werden sollen auch mehr Datenauswertungen für die Forschung. Patientenvertreter und Gesundheitsbranche zeigten sich offen für mehr Schwung, viele Fragen sind aber noch zu klären.

Lauterbach sagte in Berlin: »Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück. Das können wir nicht länger verantworten.« Es gelte, jetzt wirklich »mit einem Turbo-Schub den Anschluss zu erreichen«. Die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen, mache Behandlungen besser. Geplant ist ein Gesetzespaket, das in den nächsten Wochen vorgelegt werden soll - auch mit genaueren Regelungen zur praktischen Umsetzung. Ein Überblick über die Kernpunkte:

E-Akte für alle

Für die 2021 als freiwilliges Angebot gestarteten elektronischen Patientenakten (ePA) soll endlich ein Durchbruch her. Dabei geht es um einen persönlichen Datenspeicher etwa für Befunde, Röntgenbilder und Listen eingenommener Medikamente. Diese E-Akte soll Patienten im Prinzip ein Leben lang und bei allen Ärztinnen und Ärzten begleiten. Das soll die Versorgung verbessern. Denn oft würden Untersuchungen unnötigerweise wiederholt, wenn zum Beispiel Kardiologen vorherige Ergebnisse anderer Fachärzte nicht kennen, erläuterte Lauterbach.

Das Problem ist nur, dass bisher noch nicht einmal ein Prozent der 74 Millionen gesetzlich Versicherten eine ePA hat. Erklärtes Ziel ist nun, bis 2025 auf 80 Prozent zu kommen. Dazu hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart, auf das Prinzip »Opt-out« zu schwenken. Konkret sollen bis Ende 2024 alle automatisch eine E-Akte bekommen. Wer keine will, müsste dann widersprechen, statt wie bisher aktiv eine zu beantragen. Abrufbar sein soll die Akte mit bestimmten Identifikations-Regeln auch am Smartphone. Wie das Verfahren dann ganz praktisch aussehen soll, soll aber noch geklärt werden.

Zwischen Skepsis in Praxen und Datenschutz

Lauterbach machte deutlich, dass auch ein gewisser »Defätismus« in Sachen Digitalisierung unter den Ärzten überwunden werden soll. Bei der Vernetzung der Praxen gibt es Verzögerungen, außerdem schwelt bei mehreren Fragen Streit um den Datenschutz. Die Krankenkassen mahnten, dass Ärzte tatsächlich Behandlungsdaten einstellen müssten. »Die Akte kommt erst zum Fliegen, wenn sie fester Bestandteil jedes Arztbesuchs ist«, betonte der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas. Der Grünen-Experte Janosch Dahmen sagte, die Patientenakte müsse »einfach wie eine Suchmaschine zu bedienen sein«. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung warnte vor zu viel Hast und »unreifen Konzepten«.

Ein Reizthema ist der Datenschutz bei sensiblen persönlichen Angaben. Lauterbachs Strategie zielt da auf mehr Spielräume ohne »klassische Vetorechte«. An Stelle des bisher herzustellenden »Einvernehmens« mit Datenschutzbehörden soll ein Gremium beratend tätig werden, dem neben Datenschützern auch Vertreter aus Medizin und Ethik angehören. Die Verbraucherzentralen forderten, es müsse einfach festzulegen sein, welcher Arzt auf welche Daten zugreifen dürfe. Ein »Alles oder Nichts« sei der falsche Weg. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte, den Bürgern dürfe nicht die Kontrolle über ihre medizinischen Daten entzogen werden. »Denn Schweigen bedeutet nicht Zustimmung«.

E-Rezept und Forschungsdaten

Ein Durchbruch kommen sollen auch bei elektronischen Rezepten, bei denen sich der Start mehrfach verzögerte. Zuletzt waren im Herbst in der einzigen Pilotregion in Westfalen-Lippe weitere Schritte auf Eis gelegt worden. Prinzipiell sollen Patienten statt des gewohnten rosa Zettels einen Code aufs Handy bekommen, um Medikamente in Apotheken abzuholen. Wer kein Smartphone hat oder nicht eine spezielle App, bekommt den Code aber vorerst ausgedruckt auf Papier. Neue Zielvorgabe ist jetzt, dass E-Rezepte einfacher nutzbar und Anfang 2024 zum verbindlichen Standard werden sollen.

Gesetzlich geregelt werden sollen auch mehr Datenauswertungen für die Forschung. Dafür soll unter anderem eine zentrale Stelle eingerichtet werden, die einen Zugang zu pseudonymisierten Daten aus verschiedenen Quellen wie Registern und Krankenkassendaten ermöglichen soll. Das soll Erkenntnisse entscheidend beschleunigen. Ein Vorbild dafür ist Israel, das vor mehr als 25 Jahren mit der Digitalisierung begann. Deutschland habe in der Corona-Krise auf solche Forschungsdaten aus anderen Ländern schauen müssen, erläuterte der Vorsitzende des Sachverständigenrats Gesundheit, Michael Hallek. Denn hierzulande gebe es noch »null Daten« aus der eigenen Versorgung dafür.

© dpa-infocom, dpa:230309-99-883003/5