Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) lässt Forderungen von FDP-Vize Wolfgang Kubicki an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nach »persönlichen Konsequenzen« im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der sogenannten Corona-Files des Robert Koch-Instituts (RKI) unkommentiert. »Die Äußerungen von Herrn Kubicki kommentiert das BMG nicht«, hieß es auf Nachfrage lediglich.
Das Ministerium zitierte Lauterbach darüber hinaus allgemein »zum Themenkomplex Entscheidungsgrundlagen und Entscheidungsbefugnis« mit den Worten: »Es gibt in den RKI-Protokollen nichts zu verbergen. Daher habe ich die Veröffentlichung der Protokolle angewiesen. Das RKI hat während der Pandemie Empfehlungen abgegeben. Die politische Verantwortung liegt aber beim Ministerium. Trotz der insgesamt vorsichtigen Strategie sind allein im Jahr 2022 in Deutschland noch mehr als 50.000 Menschen an Corona gestorben. Die Maßnahmen waren damit mehr als begründet.«
Kubicki sieht politische Einflussnahme auf RKI
Nach der Veröffentlichung ungeschwärzter Dokumente über die Sitzungen des Corona-Krisenstabs beim RKI durch eine Journalistin hatte Bundestagsvizepräsident Kubicki persönliche Konsequenzen von Lauterbach gefordert.
Er wirft dem Gesundheitsminister vor, ein »unverantwortliches Verhältnis zur Wahrheit« zu haben und bezieht sich unter anderem auf eine Aussage Lauterbachs vom März, wonach das RKI unabhängig von politischer Weisung gearbeitet habe. Nach Kubickis Ansicht belegen die Dokumente jedoch eine politische Einflussnahme. Das RKI habe auf Drängen des BMG den öffentlichen Pandemie-Druck künstlich hochgehalten, schrieb der FDP-Politiker.
Protokolle bisher nicht offiziell veröffentlicht
Die Protokolle des Krisenstabs sind vom RKI selbst noch nicht freigegeben worden. Eine Gruppe um eine Journalistin, die zu den Kritikern der Corona-Politik der Bundesregierung zählt, hatte nach eigenen Angaben die Unterlagen von einer Quelle aus dem Institut erhalten, sie im Juli im Internet hochgeladen und auch bei einer Pressekonferenz vorgestellt.
Das RKI erklärte dazu, es habe die Datensätze »weder geprüft noch verifiziert«. Das Institut will die Protokolle nach Angaben Lauterbachs zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt selbst veröffentlichen.
Die Papiere zeigen, worüber der Krisenstab bei seinen regelmäßigen Sitzungen in der Corona-Zeit jeweils beriet: aktuelle Infektionszahlen, internationale Lage, Impfungen, Tests, Studien oder Eindämmungsmaßnahmen.
FDP-Vize listet Fundstellen auf, die Einflussnahme belegen sollen
Kubicki zitiert Teile der im Netz veröffentlichten Dokumente, die seiner Ansicht nach belegen, dass Einfluss auf das RKI genommen wurde. So führt er einen Eintrag mit dem Datum 9. Februar 2022 an, in dem es unter dem Punkt »Aktuelle Risikobewertung« heißt: »Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist abhängig von der Zustimmung des BMG, voraussichtlich nicht vor der MPK am 16.02.2022. Eine Herabstufung vorher würde möglicherweise als Deeskalationssignal interpretiert, daher politisch nicht gewünscht.«
Des Weiteren wird ein Eintrag vom 25. Februar 2022 zitiert: »Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt« und einer vom 20. April 2022: »In Hinblick auf das BMG sollte die Herabstufung aus strategischen Gründen zunächst auf hoch und nicht moderat erfolgen.«
Virologe Streeck fordert Stellungnahme von Lauterbach
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck, der bei der Bundestagswahl 2025 für die CDU antreten will, forderte in der »Bild«-Zeitung, Lauterbach müsse ausführlich zu den Vorwürfen Stellung nehmen, die sich aus den Protokollen gegen ihn ergäben. Kubicki werfe seinem Koalitionspartner vor, wissenschaftliche Erkenntnisse unterdrückt zu haben, um politische Ziele zu erreichen. »Ein solcher Vorwurf darf nicht im Raum stehen bleiben, wenn Karl Lauterbach Gesundheitsminister bleiben möchte.«
Spahn: Kritiker wollen »Art Volksgerichtshof«
Kubicki hatte zudem eine parlamentarische Aufarbeitung der Corona-Pandemie gefordert. Zu dem Thema äußerte sich auch Lauterbachs Vorgänger im Amt, Jens Spahn, im ARD-»Interview der Woche«. Man müsse über das reden, was falsch lief, und auch den Blick nach vorn richten, was man daraus lernen könne, sagte der CDU-Politiker und sprach sich für die Einsetzung einer entsprechenden Enquetekommission im Bundestag aus. »Im Moment habe ich eher den Eindruck, die einen wollen gar nicht darüber reden, so nach dem Motto, war schon alles irgendwie ok und die anderen wollen - das sind vor allem die, die immer schon alles kritisch sahen - eher so eine Art Volksgerichtshof veranstalten.«
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