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Lange Nacht: Haushalts-Beschlüsse mit Fragezeichen

Die Haushälter im Bundestag müssen nachsitzen. Erst kommende Woche wollen sie den Etat für 2024 absegnen. Vieles wurde trotzdem schon beschlossen. Die Opposition hat damit ein Problem.

Haushaltsausschuss
Blick in den Sitzungssaal mit dem Haushaltsausschuss des Bundestags mit der finalen Beratung des Etats für 2024. Foto: Kay Nietfeld/DPA
Blick in den Sitzungssaal mit dem Haushaltsausschuss des Bundestags mit der finalen Beratung des Etats für 2024.
Foto: Kay Nietfeld/DPA

Die Erzählungen am Morgen nach der langen Haushaltsnacht könnten unterschiedlicher kaum sein. Bei den Etats der Bundesministerien brennt nichts mehr an - das ist die Botschaft der Ampel-Koalition.

Die Opposition dagegen hält den gesamten Haushalt 2024 für unseriös - und möglicherweise auch verfassungswidrig. »Die laufen quasi sehenden Auges in die nächste Falle rein«, sagte Unions-Haushälter Christian Haase am Freitag über SPD, Grüne und FDP.

Von Donnerstagmittag bis Freitagfrüh um etwa 4.20 Uhr stimmten die Haushälter im Bundestag über Hunderte Änderungen am Etatentwurf für 2024 ab. Die Mittel für Regelzahlungen aus dem Bürgergeld wurden um 3,4 Milliarden Euro angehoben, der kreditfinanzierte Kapitalstock für die Aktienrente um zwölf Milliarden aufgestockt.

Ministerinnen und Minister mussten vorsprechen, um ihre Ausgabepläne zu verteidigen. Business as usual in der sogenannten Bereinigungssitzung könnte man meinen.

Folgen des Karlsruher Urteils noch unklar

Doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bringt die Haushaltspolitik kräftig durcheinander. Es habe »quasi dem Haushalt die Beine weggezogen«, sagt Haase. Die Richterinnen und Richter rissen ein 60 Milliarden großes Loch in einen Sondertopf zur Finanzierung von Klimaprojekten und der Modernisierung der Wirtschaft. Außerdem entschieden sie quasi, dass es nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, Schulden auf Vorrat zu machen.

Welche Folgen das nicht nur für die Klimaprojekte, sondern auch für die Energiepreisbremsen und weitere Töpfe hat, traut sich noch keiner abschließend einzuschätzen. Die Union erwägt bereits eine Klage wegen den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, aus dem Strom- und Gaspreisbremse finanziert werden. Auch die Ampel prüft ihn. Man müsse klären, was daraus noch finanziert werden könne, sagte FDP-Chefhaushälter Otto Fricke.

Deshalb machten die Haushälter des Bundestags keinen finalen Strich unter den Etat. Wie viel der Bund im kommenden Jahr ausgibt, wie viele Schulden er macht - all das steht noch nicht endgültig fest. Nächsten Donnerstag müssen die Haushälter nachsitzen.

Lücke in Klimaschutz-Finanzierung auch 2024?

Nach Rechnung der AfD müssen sie bis dahin noch ein Loch von 19 Milliarden stopfen. Dieses Geld fehle nach dem Karlsruher Urteil bereits im nächsten Jahr. Die Ampel-Koalitionäre haben im Klima- und Transformationsfonds, auf das sich das Urteil unmittelbar bezog, für 2024 eine Lücke von 18,5 Milliarden ausgemacht.

Doch das halten sie nicht für allzu problematisch: Die Mittel flössen ohnehin nie so gut ab wie geplant. Durch realistischere Planung könne man viel rausholen - und durch Schwerpunkt-Setzung, über die es noch Debatten geben werde.

Die in der Nacht zum Freitag getroffenen Beschlüsse - darunter 80 Millionen mehr für die Freiwilligendienste, 150 Millionen fürs Bafög, 500 Millionen mehr für internationalen Klimaschutz, 700 Millionen mehr für humanitäre Hilfe und mehr Geld für Long-Covid-Forschung - sieht die Ampel aber nicht in Gefahr.

»Wenn es nach uns geht, ist das Ding durch«, sagte Fricke. Die Etats der Ministerien müssten nicht mehr verändert werden - egal, wie das Karlsruher Urteil zu interpretieren sei.

Keller und Wände fertig, Dach fehlt

Die Ampel sieht es so: Alle Bereiche des Haushalts, die von dem Urteil betroffen sein könnten, habe man erstmal ausgeklammert und auf die kommende Woche verschoben. Dabei gehe es vor allem um die Sondervermögen, sagte SPD-Chefhaushälter Dennis Rohde.

Das sind wirtschaftlich vom Kernhaushalt getrennte Töpfe, aus denen meist langfristige Investitionen gestemmt werden. Fricke vergleicht den Haushalt mit einem Hauses im Bau: Keller und Wände seien fertig. »Aber das Dach, das müssen wir jetzt erst noch machen.«

Dass eine Lösung für die Klimaprojekte her muss, betonen die Ampel-Politiker unisono. »Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, wie es nicht geht. Wir haben jetzt die Aufgabe zu zeigen, wie es geht«, sagte Grünen-Chefhaushälter Sven-Christian Kindler. Davon hingen auch Hunderttausende Arbeitsplätze ab.

Schuldenbremse soll trotzdem halten

Die einfachen Lösungen, mehr Schulden aufzunehmen oder Steuern zu erhöhen, hätten bei dem ein oder anderen Koalitionspartner wohl durchaus Fans - sind im Zusammenspiel von SPD, Grünen und FDP aber nicht durchsetzbar. Die Schuldenbremse sei Grundannahme aller Entscheidungen, betonte Fricke.

Nach Angaben von AfD-Haushälter Peter Boehringer soll der mögliche Kreditrahmen ohnehin vollständig ausgenutzt werden. Wegen der schlechten konjunkturellen Lage seien für 2024 neue Kredite von knapp 22 Milliarden Euro zugelassen. »Und diese dann 22 Milliarden hat die Koalition gestern in der Bereinigungssitzung komplett abgeräumt«, sagte Boehringer.

Union: Haushaltspolitik auf der Titanic

Unions-Haushälter Haase kritisierte, die Ampel-Fraktionen hätten in der Sitzung »noch mal einen ordentlichen Schluck aus der Pulle genommen«. »Wir haben zusammengerechnet, dass die Ampel gestern 32,5 Milliarden mehr Ausgaben beschlossen hat.«

Die Koalitions-Haushälter halten dagegen, das könne man vor Abschluss des Etats noch gar nicht seriös beziffern. Zudem seien auch Kürzungen beschlossen worden. So seien zum Beispiel Mittel für Informationstechnik in die Zukunft verschoben und schlecht ablaufende Gelder für den Digitalfunk gesenkt worden.

Trotzdem sieht sich die Union schon auf die Titanic versetzt. »Wir sind vor den Eisberg gefahren - das ist das Verfassungsgerichtsurteil«, sagte Haase. »Jetzt spielt die Kapelle und wir warten darauf, dass am nächsten Donnerstag das letzte Stück gespielt wird.«

© dpa-infocom, dpa:231117-99-978422/6