Applaus ertönt im Gerichtssaal, als der Vorsitzende Richter 18 Jahre Haftstrafe für einen der Angeklagten im Prozess um den wohl islamistisch motivierten Terroranschlag von Nizza mit 86 Toten verkündet.
Das Gericht hat ihn in Paris wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt, ebenso einen weiteren der acht als Handlanger und Unterstützer geltenden Angeklagten. Beide hätten den Attentäter moralisch und materiell unterstützt und ihn inspiriert.
Bei dem Anschlag vor sechseinhalb Jahren war der Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel auf der Flaniermeile Promenade des Anglais in Nizza mit einem tonnenschweren Lastwagen in eine Menschenmenge gerast. Er schoss auch auf Menschen. Letztlich gab es 86 Todesopfer, darunter zwei Schülerinnen und eine Lehrerin aus Berlin. Mehr als 200 Menschen wurden bei dem Anschlag am 14. Juli 2016, dem französischen Nationalfeiertag, verletzt. Der Gewalttäter wurde nach der Tat erschossen.
In die Suche nach einer Waffe eingebunden
Die beiden zu 18 Jahren Haft verurteilten Angeklagten wussten laut Staatsanwaltschaft um die Gesinnung des Mannes und dass er in der Lage sei, einen Anschlag zu begehen. Auch sollen sie in die Suche nach einer Waffe eingebunden gewesen sein.
Das Gericht verhängte zudem zwölf Jahre Haft für den Mann, der dem Attentäter die Schusswaffe besorgt hatte, die dieser beim Anschlag benutzte. Die weiteren fünf Beschuldigten in dem Prozess, die laut Urteil ebenfalls in die Beschaffung der Pistole oder einer weiteren Waffe involviert waren, sollen zwischen zwei und acht Jahre in Haft. Die Angeklagten können noch Berufung gegen die Entscheidung des Gerichts einlegen.
Strafen gehen über Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus
Möglich, dass manche der Hinterbliebenen und Überlebenden sich noch höhere Strafen erhofft hatten. Doch bereits die Staatsanwaltschaft hatte klargestellt, keiner der acht Beschuldigten könne verurteilt werden, als sei er der Attentäter. Die vom Gericht verhängten Strafen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gingen nun sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus.
Für Anwältin Alexandra de Brossin de Méré, die in den Verfahren die Mütter einer der getöteten Berliner Schülerinnen sowie die der Lehrerin vertritt, ist es insgesamt ein Urteil, mit dem man leben könne, wie sie der Deutschen Presse-Agentur sagte. »Für die Zivilparteien und die Opferfamilien ist das ein schönes Signal, dass die Justiz sich mit so viel Ernsthaftigkeit damit befasst hat und getan hat, was sie tun konnte, in so einer so schwierigen Lage.«
Anschlag auch ein nationales Trauma
Seit September hatte das Spezialgericht in Paris den Anschlag von Nizza aufgerollt. Auch wenn der erschossene Attentäter selbst nicht vor Gericht war, befasste sich der Prozess eingehend mit seinen Anschlagsplänen und seiner Gesinnung. Der Vorsitzende Richter Laurent Raviot sagte, der Täter habe sein Vorgehen gewählt, um Terror zu verbreiten. Er habe an einem immer vollen Ort und bei einem Fest, das die Republik und ihre Werte hochleben ließ, zugeschlagen. Der Anschlag sei auch ein nationales Trauma gewesen.
Mehr als 2000 Angehörige und Opfer traten als Nebenklägerinnen und Nebenkläger auf. Über mehrere Wochen hinweg berichteten sie vor Gericht von ihren Erinnerungen an die Attacke und den Spuren, die der Terrorakt bei ihnen hinterlassen hat. Auch die Mutter einer der getöteten Berliner Schülerinnen sprach unter Tränen vor Gericht. De Brossin de Méré sagte, das habe ihrer Mandantin sehr gut getan.
»Ich will nur sagen: Vergessen Sie uns nicht!«
Dass die Staatsanwaltschaft behördliche Fehler eingestand und sich für diese entschuldigte, dürfte die Erwartungen vieler Überlebender und Hinterbliebener übertroffen haben. Das Urteil markiert für sie nun einen wichtigen Schritt. Dennoch hoffen zahlreiche Opfer, dass die juristische Aufarbeitung damit nicht vorbei ist. Denn die Frage nach den Sicherheitsvorkehrungen in Nizza wurde in dem Pariser Verfahren nur am Rande behandelt. Untersuchungen dazu laufen in der Mittelmeerstadt noch, zahlreiche Opfer hoffen auf einen zweiten Prozess.
Und auch Sorgen begleiten bei einigen das Prozessende. Die 20-jährige Lucie Lemaire sagte der Zeitung "Libération", sie fürchte, die Allgemeinheit werde nichts aus dem Verfahren, das in Frankreich auf eher geringes Interesse stieß, im Kopf behalten und sich auch nicht an den Anschlag erinnern. »Ich will nur sagen: Vergessen Sie uns nicht!«
© dpa-infocom, dpa:221213-99-888306/4