Im Kampf gegen die anhaltend hohen Infektionszahlen in Deutschland kommen die Länder in Zugzwang. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach forderte sie erneut auf, weitergehende Alltagsauflagen für regionale »Hotspots« mit kritischer Lage zu erlassen.
»Wir verlieren Zeit. Aus meiner Sicht muss jetzt gehandelt werden«, sagte der SPD-Politiker am Rande von Beratungen mit seinen Länderkollegen. Er machte klar, dass die neue bundesweite Rechtsgrundlage für Schutzmaßnahmen trotz scharfer Kritik aus den Ländern nicht nochmals geändert werde. Für einen nahtlosen Anschluss müssten die Länder noch in dieser Woche neue Corona-Regeln festlegen.
Lauterbach: Zahlen auf sehr hohem Niveau
Lauterbach betonte, die Länder sollten nicht darauf spekulieren, dass die Fallzahlen bald heruntergehen und sich das Problem von allein erledige. »Das wird es nicht tun.« Dies könne auch nicht der Geist sein, in dem man versuche, die Pandemie zu überwinden. Die Zahlen seien auf sehr, sehr hohem Niveau, Krankenhäuser seien teils sehr stark belastet. Das sei eine unbefriedigende Situation, die sich noch lange hinziehen könne. »Somit muss die Losung der Stunde die sein, dass wir die Regel, die wir haben, nutzen - und nicht eine Regel, die rechtlich nicht mehr erhältlich ist, beklagen.«
Der Streit dreht sich um Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, die die Ampel-Koalition unter Protest der Länder durchgesetzt hatte. Ihnen sind nach einer Übergangszeit bis kommenden Samstag (2. April) nur noch wenige allgemeine Schutzregeln etwa zu Masken und Tests in Einrichtungen wie Kliniken und Pflegeheimen erlaubt. Die Länder können aber für regionale Hotspots weitergehende Beschränkungen etwa mit mehr Maskenpflichten und Zugangsregeln verhängen, wenn das Landesparlament dort eine kritische Lage feststellt. Mehrere Länder beklagen, dass dafür rechtssichere Kriterien fehlten.
Lauterbach sagte: »Ich hoffe, dass noch mehr Bundesländer die Hotspot-Regelung nutzen.« In der Gesundheitsministerkonferenz habe ein Antrag mehrerer Länder, das Infektionsschutzgesetz erneut zu ändern und die Übergangsfrist um vier Wochen zu verlängern, keine Mehrheit gefunden. Mecklenburg-Vorpommern hat sich schon landesweit bis Ende April zum Hotspot erklärt, der Stadtstaat Hamburg plant es. Lauterbach sagte, wenn die Hotspot-Regel genutzt werde, »dann wird in der Bevölkerung noch einmal das Signal ankommen, dass die Pandemie nicht nur nicht vorbei ist, sondern dass wir vorsichtig sein müssen.«
Landesparlamente tagen
Die Länder müssen nun konkret entscheiden. Mehrere Kabinette tagen am Dienstag. In Bayern sollen trotz landesweit hoher Inzidenzen nicht auf breiter Front schärfere Regeln kommen. Man werde »keine Hotspots jetzt für ganz Bayern machen. Jedenfalls auf absehbare Zeit nicht«, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU). »Wir haben jetzt in Deutschland echt keine verlässliche Grundlage mehr für den Fall, dass es noch schwieriger wird.« In Brandenburg berät das Kabinett am Dienstag über die Bestimmungen ab dem Wochenende. In Thüringen ist eine Sondersitzung des Landtages am Donnerstag geplant.
Schwellenwerte, ab wann eine Region ein Hotspot ist, sind im Gesetz nicht beziffert. Generelle Voraussetzung ist, dass eine Überlastung der Klinikkapazitäten droht. Lauterbach nannte erneut vier Kriterien, an denen man dies bemessen könne: Wenn Kliniken die Notfallversorgung nicht mehr leisten könnten - wegen zu vieler Corona-Patienten oder Personalausfälle, wenn sie planbare Eingriffe absagen oder Patienten in andere Häuser verlegen müssten - sowie wenn Vorgaben zu einer Mindestpräsenz von Pflegekräften nicht eingehalten werden könnten.
Keine bundesweite Makenpflicht
Lauterbach bekräftigte, dass etwa eine bundesweite Maskenpflicht nach Bewertung von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nicht möglich sei, da keine bundesweite Überlastung des Gesundheitswesens drohe. Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus verteidigte das Gesetz als »wichtigen Schritt Richtung Normalität«. Die Länder hätten damit zugleich die Möglichkeit, angemessen zu reagieren. »Wer etwas anderes behauptet, scheut die Verantwortung.« Wo es geboten sei, könnten und sollten die Länder zielgenau handeln.
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann kritisierte dagegen die Bundesregierung: »Ich bin immer noch der Meinung, dass es richtig wäre, wenn es in öffentlichen Innenräumen weiterhin zumindest eine Maskenpflicht geben würde«, sagte der CDU-Politiker der »Rheinischen Post«. »Das ist nach Einschätzung der Mehrheit der Länder mit dem aktuellen Infektionsschutzgesetz und der Hotspot-Regelung nicht ohne weiteres möglich.« Dafür trage der Bund die Verantwortung.
Lauterbach machte deutlich, dass er auch weitere Maskenvorgaben nach Hausrecht etwa in Supermärkten begrüßen würde. Dies könne aber nur ergänzend wirken. »Die Länder haben das Recht und auch die Pflicht, ihre Bürger zu schützen.« Supermärkte könnten das nicht kompensieren.
Quarantäneregeln sollen auf den Prüfstand
Die Länderminister forderten den Bund auf, die Quarantäne- und Isolationsregeln in Zusammenhang mit dem Coronavirus zu überprüfen. Das Bundesgesundheitsministerium soll hierfür das Robert Koch-Institut (RKI) beauftragen, bestätigte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums in Sachsen-Anhalt. Das Bundesland hat aktuell den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz. Laut dem Beschluss soll geprüft werden, »ob und wie lange eine Absonderung von Infizierten und Kontaktpersonen in der aktuellen Pandemiephase« angezeigt ist. Dazu soll sich das RKI mit den Ländern abstimmen.
Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz blieb laut Robert Koch-Institut (RKI) auf hohem Niveau von nun 1700,6 nach 1714,2 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen am Vortag. Allerdings meldeten Baden-Württemberg und Brandenburg praktisch keine Fälle. Registriert wurden 20 Tote in 24 Stunden. Die Zahl der in Kliniken gekommenen corona-infizierten Patienten je 100.000 Einwohner in sieben Tagen gab das RKI mit 6,94 an (Freitag 7,39). Am höchsten war die Rate mit 16,39 in Mecklenburg-Vorpommern, am niedrigsten in Berlin mit 2,73.
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