Mit der laufenden Teilmobilmachung der Streitkräfte will Russland Aussagen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge lediglich den Moment der eigenen Niederlage hinauszögern. Das machte Selenskyj in seiner nächtlichen Videoansprache deutlich.
Rund sieben Monate nach Kriegsbeginn hatte Russlands Präsident Wladimir Putin am Mittwoch eine Mobilmachung von Reservisten angeordnet. Seitdem herrscht vielerorts in Russland Entsetzen. Landesweit gibt es Proteste. Mehrfach gab es auch schon Angriffe auf Einberufungszentren.
Putins Vertrauter Jewgeni Prigoschin gab unterdessen erstmals die Gründung der gefürchteten Söldnertruppe »Wagner« zu. Außerdem erkannte Putin dem bekannten US-Whistleblower Edward Snowden die russische Staatsbürgerschaft zu.
Selenskyj: Russland will Moment der Niederlage hinauszögern
»Sie haben gefühlt, dass sie verlieren werden. Und sie versuchen einfach, diesen Moment hinauszuzögern, um zumindest etwas Aktivität an der Front zu haben«, sagte Selenskyj. »Leider ist sich die russische Bevölkerung noch nicht der gesamten Brutalität der russischen Regierung gegenüber ihrem eigenen Volk bewusst«, sagte Selenskyj weiter. Das müsse den Russen klar gemacht werden.
Ukrainische Truppen rücken weiter vor
Im ostukrainischen Gebiet Charkiw verzeichneten die ukrainischen Truppen auf dem östlichen Ufer des Flusses Oskil weitere Geländegewinne. Die Siedlung Pisky-Radkiwski stehe wieder unter ukrainischer Kontrolle, teilte die Verwaltung der Gemeinde Borowa in der Nacht zum Dienstag beim Nachrichtendienst Telegram mit. Dazu wurden Fotos von zerstörter russischer Technik gezeigt. Vor dem russischen Einmarsch am 24. Februar hatte die Siedlung etwa 2000 Einwohner.
Zuvor hatte der ukrainische Generalstab von russischem Beschuss gegen Kupjansk-Wuslowyj etwa 40 Kilometer nördlich geschrieben und damit Berichte über die Rückeroberung der Stadt indirekt bestätigt. Kupjansk-Wuslowyj ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt auf dem linken Ufer des Oskil.
Nach ihrer Vertreibung aus dem Großteil des Charkiwer Gebiets Anfang September zogen sich die russischen Truppen hinter die Linie der Flüsse Oskil und Siwerskyj Donez zurück. Sie konnten diese Linie jedoch nicht halten. Auch im südlich angrenzenden Donezker Gebiet sollen ukrainische Einheiten ebenfalls Erfolge haben und sich dem Luhansker Gebiet auf wenige Kilometer genähert haben.
Putins »Koch« bekennt sich zur Gründung der Wagner-Kampfgruppe
Der als Koch von Kremlchef Putin bekannt gewordene russische Geschäftsmann Prigoschin räumte erstmals direkt öffentlich ein, die berüchtigte Söldnertruppe »Wagner« gegründet zu haben. Er habe die Einheit 2014 für den Einsatz auf russischer Seite im ukrainischen Donbass gebildet, erklärte Prigoschin auf der Internet-Seite seines Unternehmens Konkord. Am 1. Mai 2014 sei eine »Gruppe von Patrioten geboren worden« - mit dem Namen »Wagner«.
Zuvor hatte Prigoschin Verbindungen zur »Wagner«-Truppe nie klar benannt. Zuletzt ließ er aber indirekt durchblicken, dass es sich um sein Projekt handelte. Auch Insider hatten das bestätigt. Prigoschin bestätigte nun unter anderem Einsätze der »Wagner«-Gruppe in Syrien, anderen arabischen Ländern sowie in Afrika und Lateinamerika. Kürzlich hatte ein Video in Russland für Aufsehen gesorgt, das den Geschäftsmann und Putin-Freund beim Rekrutieren von Gefängnisinsassen als Kämpfer für den Ukraine-Krieg zeigen soll.
Putin gewährt US-Whistleblower Snowden russische Staatsbürgerschaft
Putin erkannte dem US-Whistleblower Snowden die russische Staatsbürgerschaft zu. Der Name des 39-Jährigen findet sich auf einer vom Kreml veröffentlichten Liste mit neuen Staatsbürgern. Snowden hatte zuvor nach der Geburt seines Sohnes in Russland mitgeteilt, dass er die Staatsbürgerschaft beantrage, um dieselben Rechte zu haben wie das 2020 geborene Kind, das die russische Staatsbürgerschaft automatisch erhielt.
Snowden hatte 2013 Dokumente zu Ausspäh-Aktivitäten des US-Abhördienstes NSA und seines britischen Gegenparts GCHQ an Journalisten gegeben. Auf der Flucht über Hongkong wollte er nach eigenen Angaben nach Ecuador, strandete aber in Moskau am Flughafen, nachdem die US-Regierung seinen Reisepass annulliert hatte.
Keine EU-Lösung für Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigerern
Die EU-Staaten suchen weiter nach einer gemeinsamen Linie im Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigerern, die ihre Heimat verlassen wollen. Ein erstes Krisentreffen der 27 EU-Botschafter brachte keine Lösung. Man habe die EU-Kommission dazu aufgefordert, die jüngsten Leitlinien zur Visavergabe »unter Berücksichtigung der Sicherheitsbedenken der Mitgliedstaaten zu überprüfen, zu bewerten und gegebenenfalls zu aktualisieren«, teilte die derzeitige tschechische EU-Ratspräsidentschaft anschließend lediglich mit.
USA unterstützen ukrainische Strafverfolgung mit Millionensumme
Die US-Regierung stellt zur Unterstützung der ukrainischen Strafverfolgungs- und Strafjustizbehörden eine Millionensumme bereit. US-Außenminister Antony Blinken sagte der ukrainischen Regierung hierfür zusätzlich 457,5 Millionen US-Dollar (rund 474 Millionen Euro) zu. Seit Mitte Dezember 2021 haben die USA damit insgesamt mehr als 645 Millionen US-Dollar (rund 668 Millionen Euro) für diesen Bereich zur Verfügung stellt, unter anderem für die Polizei des Landes, wie es hieß.
Ein Teil der neuen Mittel sei auch vorgesehen zur Unterstützung der ukrainischen Regierung »bei der Dokumentation, Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung der von den russischen Streitkräften begangenen Gräueltaten«.
Britischer Geheimdienst vermutet fehlenden Rückhalt in Bevölkerung
In den von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine findet der letzte Tag der Scheinreferenden über einen Beitritt zu Russland statt. Die russische Führung will nach Einschätzung britischer Geheimdienste mit der erwarteten Annexion ukrainischer Gebiete den Angriffskrieg vor der eigenen Bevölkerung rechtfertigen. Jegliche Ankündigung einer Einverleibung der Gebiete werde der Rechtfertigung von Russlands »spezieller Militäroperation« in der Ukraine dienen und beabsichtige, die patriotische Unterstützung des Konfliktes zu festigen, hieß es am Dienstag in einem Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.
Es sei damit zu rechnen, dass der russische Präsident Wladimir Putin am Freitag in einer Rede vor dem russischen Parlament die Annexion der Gebiete im Osten und Süden der Ukraine formell bekanntgeben werde. Die britischen Geheimdienste gehen jedoch davon aus, dass die Russen Putins Pläne nicht so unterstützen werden wie von ihm erhofft. Die kürzliche Teilmobilmachung russischer Reservisten sowie das zunehmende Wissen über die Rückschläge in der Ukraine dürften die Zustimmung deutlich trüben, hieß es.
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